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Aus dem romantisch überhitztem Kochtopf

FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / RICCARDO MUTI

15/08/12 Die Hirtenszene aus der „Symphonie fantastique“, weitgehend notengetreu in den Instrumenten, und darüber der fromme Messtext „Gratias agimus tibi“! Geht nicht, werden Sie argwöhnen? Geht wirklich nicht, aber dem einundzwanzigjährigen Hector Berlioz war`s einen Versuch wert.

Von Reinhard Kriechbaum

Überhaupt hat der Jungspund mit romantisch überhitztem Schnellkochtopf-Gemüt damals für seine „Messe solennelle“ einen spirituellen Eintopf angerührt, der sich später als nicht tauglich erwies für den Haut-gout der französischen Musik. Also hat Berlioz die Noten vernichtet, doch nicht gründlich genug: 1991 ist plötzlich die Urschrift des verloren geglaubten Werks aufgetaucht.

Für den obligaten Ferragosta-Festspieltermin der Wiener Philharmoniker mit Riccardo Muti hat man also diese kruden Noten einstudiert. Was für ein Werk! Da säbeln die Streicher einzelne Sforzati in ein bizarres Kyrie-Fugato hinein, das abgelöst wird von einem ultra-lyrischen Christe. Das mündet wieder in einen bombastischen Kyrie-Teil, der so klingt, als ob Gott, ein alter Herr vermutlich schon 1824, schwerhörig wäre. Mit einer Parforcejagd der Streicher beginnt das Gloria, auf den eine spieldosenartig-trivial gesetzte Episode „Laudamus te“ folgt. Das später in die „Symphonie fantastique“ aufgegangene „Gratias“ ist nicht die einzige Melodie zum Wiedererkennen. Es drängt sich ein gar böser Verdacht auf: Hat Berlioz das Werk vernichten wollen, damit niemand auf die Idee kommt, ihm sei damals schon sein ganzes Lebenswerk eingefallen gewesen? Wie auch immer, hier sind Motive, dramatische Floskeln, Instrumentationsdetails aus dem späteren Oeuvre querfeldein neben- und übereinandergeschachtelt. So banal manchmal, dass man lachen muss, aber auch so grenzgenial effektvoll, dass man sich der (ausschließlich oberflächlichen) Wirkung gar nicht entziehen mag. Vorlauter hat kein Kollege die Posaunen des jüngsten Gerichts losschmettern lassen, es hat aber auch kein anderer Komponist je den lateinischen Text so gegen den Strich, gegen die Wortbetonungen gebürstet.

Für ein solches Werk, das einmal – aber wirklich nur einmal – gehört zu haben lohnt, ist das Beste gerade gut genug: Der Staatsopernchor etwa, der auch am Morgen nach der Carmen-Premiere voll präsent war. Die Chorsoprane werden von Berlioz in extreme Höhen gejagt, so wie der Komponist auch keinen Gedanken investiert hat, wie ein Bass-Solo liegen sollte, so dass man es einigermaßen singen kann. Ildar Abdrazakov hat das zu zwei Dritteln ihm anvertraute Credo trotzdem wunderbar mächtig hingekriegt, so wie auch Julia Kleiter das „Et incarnatus est“ trotz aller verkrampft-verbogenen Phrasen mit einnehmender Glaubwürdigkeit gestaltete. Die dankbarste Aufgabe hatte der Tenor Saimir Pirgu im kantablen Agnus.

Und die riesenhaft besetzten Wiener Philharmoniker? Auch sie haben an dem Mittwochvormittag (15.8.) gespielt, als ob sie zwölf Stunden hätten ausschlafen dürfen nach der „Carmen“. Dieser Tage haben sie in Salzburg einen echten Tschoch, lassen ihn sich aber nicht anmerken. Und Riccardo Muti? Lustvoll und schon auch mit einigem Augenzwinkern ist er voran gewatet in die sagenhaften Untiefen, die doch allerhand dramaturgische Effekte und schon auch einnehmende lyrische Momente bieten. Da wurde jedenfalls mit Chor, Orchester und Solisten wirklich gründlich gearbeitet.

Auch vor der Pause Neuland, für die Festspiele jedenfalls: Kann es stimmen, dass Liszts „Les Préludes“ überhaupt nie hier aufgeführt worden ist? Kein Treffer jedenfalls im elektronischen Archiv. Von Liszts Symphonischer Dichtung „Von der Wiege bis zum Grabe“ kann man sich das eher vorstellen. Drei Sätze: eine Art Wiegenlied, dann ein höchst turbulenter Abschnitt „Der Kampf um’s Dasein“ – und zuletzt viel Lyrik an der „Wiege himmlischen Lebens“. Die Lebenserwartung war damals noch eher kurz und die Hoffnung auf letzteres enorm. Das spiegelt sich im Alterswerk des 70jährigen Abbè Liszt.

Sorgsam hat Muti nicht nur die Lyrik ausspinnen lassen. Es war eine spürbar am Detail orientierte Wiedergabe, die auch des Komponisten Experimentierlust – wenn man will: seine Fortschrittlichkeit – gut herausgestellt hat. Kein Wunder natürlich: Liszts Himmel-Sicht ist von Wagner’schen Quellwolken durchzogen.

Und „Les Préludes“? So viele Hörer sind ja nicht mehr unterwegs, die sich noch an den Missbrauch des Stücks als Radio-Signet für Jubelmeldungen von der Ostfront erinnern. Man dürfte also ruhig wieder öfter danach greifen. Riccardo Muti wusste sich in den vielen lyrischen Wendungen eins mit dem Orchester, und einige Episoden ließ er auffallend pfiffig musikantisch angehen. Vielgestaltig und abwechslungsreich gelesen also – und daraus sind die paar knalligen, fanfarenschwangeren Wendungen ganz logisch und unaufdringlich herausgewachsen.

Das Philharmoniker-Konzert wird noch zwei Mal im Großen Festspielhaus gegeben: morgen, Donnerstag (16.8.) um 21 Uhr und am Freitag (17.8.) um 11 Uhr. – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Silvia Lelli

 

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