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Gnadenlose Brillanz

FESTSPIELE / BR-SYMPHONIEORCHESTER / JANSONS

06/08/13 Die technische Perfektion des Symphonieorchesters des Bayrischen Rundfunks ist in Europa wohl nicht zu übertreffen. Da dem Luxus-Klangkörper mit Mariss Jansons ein charismatischer Gestalter vorsteht, ist jedes Konzert ein Ereignis – so auch jenes im Großen Festspielhaus am Sonntag (4.8.).

Von Gottfried Franz Kasparek

128Da kann man schon ins Schwärmen kommen, über die traumhaften Bläsersoli, über schmetterndes Blech und warmes Holz, über seidigen Streicherglanz. Kein Wunder, dass dieses Orchester in diversen – an sich höchst fragwürdigen – Rankings stets in bester Gesellschaft der Wiener und Berliner Philharmoniker in den vordersten Rängen aufscheint. Alle Vorteile eines mit neuer Musik aufgewachsenen Rundfunkorchesters wie Klarheit und eine gewisse exzellente Kühle verbinden sich bei den Bayern mit größter Tonschönheit und lebendigem Pulsschlag. Dafür steht natürlich auch der lettische Maestro, welcher Musik aus dem menschlichen Atem heraus gestaltet und so die mitunter latente Gefahr einer gnadenlosen Glätte rechtzeitig bannen kann.

Zwei sechste Symphonien, zwei Werke in der laut Johann Mattheson „wütenden Gemüthsbewegung“ der finsteren Tonart h-Moll, zwei Stücke großer russischer Tradition, zwei Komponisten, deren Leben überschattet war von persönlichem Leid und politischem oder gesellschaftlichem Terror. Pjotr Iljitsch Tschaikowskis „Pathétique“ und Dmitri Schostakowitschs op, 54 erzählen viel von der Drangsal, der Künstler im 19. und 20. Jahrhundert ausgesetzt waren – waren? Im neuen Russland ist Homosexualität wieder ein unter Umständen schlimmes Schicksal und wer nicht für den neuen Zaren ist, der hat mit Maßregelungen zu rechnen. Wieder einmal hat in einer Revolution bloß der Besitz die Taschen gewechselt, um Georg Kaiser zu zitieren…

129Leider von zeitloser Gültigkeit ist also der ausweglos scheinende und doch wehmütig schöne Klagegesang, den Schostakowitsch im gewaltigen ersten Satz seiner „Sechsten“ anstimmt. Ebenso wie der plakative Furor der Banalität, mit dem in den nächsten beiden Sätzen den Sieg des Kommunismus gefeiert wird, der aber ebenso gut zum modernen Konsumismus passt. Mariss Jansons und sein brillantes Orchester stürmten kontrolliert, doch geradezu mit genussvollen Music-Hall-Effekten durch Allegro und Presto. Eben dadurch wurde deutlich, wie verführerisch mitreißend dieser skurrile, leere Jubel ist, wenn man seinen doppelten Boden nicht wahrnimmt.

Nach der Pause versenkte sich Jansons in die Tiefen des ersten Satzes der „Pathétique“, ließ die Klarinette in tiefster Trauer aussingen, schuf harte, aufwühlende Kontraste mit jähen Forte-Schlägen. Dagegen stand voller Leuchtkraft, wahrlich herzbewegend musiziert, der graziöse Walzer der Lebensfreude im Allegro con grazia – eine Hommage an eine erträumte Grazie. ?ewundernswert, wie Jansons anschließend den brutalen Geschwindmarsch aus duftigen Klängen entwickelte und atemberaubend steigerte, aufregend, wie das Adagio lamentoso eben nicht „lamentierend“ im Sentiment zerfloss, sondern hart, unerbittlich, aufschreiend scheiterte, ehe das Finale lapidar versickerte. Da waren gottlob endlich die hörbar von der Sommergrippe beeinträchtigten Herr- und Damschaften im Publikum still, die bei Schostakowitsch das Largo empfindlich gestört hatten. Nach einer vom Maestro bewirkten Minute der Stille brach berechtigter Applaus los, der sich zu einer stehenden Ovation steigerte.

Das Symphonieorchester und der Chor des Bayerischen Rundfunks spielen unter der Leitung von Mariss Jansons heute Dienstag (6.8.) Gustav Mahlers Symphonie Nr. 2 c-Moll („Auferstehung“) - www.salzburgerfestspiele.at
Bild: SFS / Silvia Lelli

 

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