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Weiße Hände, heiße Hits

FESTSPIELE / EL SISTEMA / INTEGRATION

09/08/13 El Sistema ist – mit seinen Spitzenensembles – Teil des internationalen Konzertbetriebs geworden. Mit dem Konzert aus dem Bereich des Integrationskonzepts ist auch die entwickelte Basis dieser Idee in die Festspiele integriert worden, und das mit Fingerspitzengefühl.

Von Erhard Petzel

145Nachdem inzwischen viel über El Sistema geredet und gewusst wird, ist die Zeit für solche Kostproben auch überreif. Der Auftritt des Integrationschores der „Weißen Hände“ wurde für alle Beteiligten ein unbedingter Gewinn.

Das Programm umfasste beliebte Sakralmusik in zeitgenössischen Chorsätzen, Mozarts Ave Verum und ibero-amerikanische Musik von zeitgenössischen Chorkomponisten oder Arrangeuren. Vor allem die einfallsreichen Sätze auf folkloristische Sujets haben das Publikum zu frenetischem Rausch befeuert, angeheizt durch die fallweise begleitende Combo, die ebenso aus dem Chor bestückt wird wie das Quintett blinder Männer.

146Der Chor der weißen Hände, dirigiert von Naybeth García, steht neben dem singenden Chor, dirigiert von Luis Chinchilla, und veranschaulicht gestisch Text und Bewegung der Musik, wobei Elemente aus der Gebärdensprache eingebaut sind. Nicht alle aus dem Gestenchor sind gehörlos, viele singen auch bei rhythmischen Silbeneinwürfen mit. Viele aus dem Gesangschor sind blind. Wo nicht durch Percussion unterstützt (herausragend der Spieler auf den Maracas), müssen sie sich an den Atemimpulsen der anderen orientieren.

147Dass dieser Chor eine Herausforderung im hiesigen Konzertbetrieb ist, liegt nicht an der musikalischen Leistung, für die man das Ensemble jederzeit einladen kann und ein brodelndes Konzert erwarten darf. Es ist der Umstand, dass hier Integration offensichtlich so selbstverständlich funktioniert, dass sie als Bewertungskriterium für die Musik keine Rolle spielt. Wie aber soll sich ein Publikum, das sein Wohlwollen anbringen will, darauf einstellen?

Muss man extra applaudieren, bis wirklich jeder auf der Bühne angekommen ist? Soll ich den Chorleitern keine Chance auf Gruppierung innerhalb des Programms geben, indem ich nach jeder Nummer klatsche? Erfreue ich die Musiker, Kinder bis junge Erwachsene, zwei Leuten in Rollstühlen, auch spastische Lähmung, Hitze und geschlossene Chortracht, wenn ich Draufgabe um Draufgabe herausstampfe, oder kann zu viel Enthusiasmus auch zur Zumutung werden?

148Die Zugaben waren mitreißend, die Stimmung war ein Fest für alle. Wenn es sich aber nicht um das Ensemble aus einem Integrationsprojekt gehandelt hätte, wären dann auch so vergleichsweise viele Kinder und Säuglinge im Konzertsaal gesessen? Nicht, dass Kinder nicht in ein Konzert passten, aber könnte es sein, dass mit Integration in unseren Köpfen und Herzen diverse Schalter umgelegt werden? Ist das dann ein Zeichen für gelungene Integration oder für ein Missverständnis? Wer wird wem wodurch gerecht?

El Sistema produziert mit neuem Impuls soziale und technische Kompetenz an der Basis für die Integration in die Mechanismen des Kulturbetriebs. Das ist eine enorme Leistung, die das Zeug dazu hat, nicht nur Nachahmung, sondern weitere neue Impulse freizusetzen. Das ist auch die Herausforderung an uns: Integration als kulturell gestaltende Kraft verstehen lernen.

Bilder: SFS / Silvia Lelli

 

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