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Gebeutelt, bewegt, begeistert

FESTSPIELE / EL SISTEMA-KINDERORCHESTER / RATTLE

12/08/13 Ein Phänomen sind diese Acht- bis Dreizehnjährigen - die, einheitlich bunt gekleidet, nicht ohne Stolz ihre RotGoldSchwarzen Brustbänder tragen, die strahlend vor Glück - schwer zu bremsen in ihren Ausbrüchen - Lebensfreude im Überfluss bekunden und das Publikum von den Sitzen reißen.

Von Hans Gärtner

439Natürlich machen sie auf Schau, die zweihundert beneidenswert jungen Mitglieder des National Children's Symphony Orchestra of Venezuela. Das tun sie immer, die Lateinamerikaner, das ist auch nichts Neues bei den Salzburger Festspielen: So stürmisch wie sie – einzeln und in Gruppen auftretend - willkommen geheißen werden, so rückhaltlos gehören ihnen auch Herz und Zuneigung des lateinamerikanisch durchsetzten Publikums.

Die ganze breite Orchester-Stellage der Felsenreitschule ist ein einziges fröhlich stimmendes Bild: Knirpse von kaum anderthalb Metern Größe sitzen da mit ihrem blinkenden, am liebsten durchwegs fürs Schmettern eingesetzten Blech. Teenies von jugendlicher Nonchalance tänzeln mit ihren gestrichenen Kontrabässen – gebeutelt von den alle Schichtenbarrieren und Nationalgrenzen überwindenden Rhythmen.

438Kinder spielen hier nicht versunken mit Blauklötzen oder Puppen, sondern in höchster Konzentriertheit Weltmusik. Standing Ovations – die gab es beim Auftritt des NCSOV am Sonntag (10.8.) in der Felsenreitschule nicht erst – wie bei El Sistema-Konzerten ohnehin üblich – am Schluss, sondern gleich nach George Gershwins sturzbachartig hereingebrochener „Cuban Overtüre“, und erst recht nach dem  kaum ganz verklungenen „Danza Final“ aus dem Ballett-Tanzbündel „Estancia“ des hierzulande schmählich vernachlässigten Argentiniers Alberto Ginastera.

Gebot der charismatische Sir Simon Rattle über Gershwins zum Fluppen gebrachte Einleitung aus dem Jahr 1932, begeisterte der grad' mal 18 Jahre alte, bescheiden auftretende Jesús Parra mit geraffter Stringenz, bombensicherer Schlagtechnik und naturtalentierter Gabe disziplinierter Ausgelassenheit bei Ginasteras berstenden Anheizern: Die Jugend ganz unter sich – vom Pult-Superstar, bis zum sanft-süffisant lächelnden Triangelisten. In der Pause (Paten-„Onkel“ HILTI lud in der Absperre zu Wein und Snacks) wurde über die sonnige Zukunft des blutjungen Dirigenten geplappert. Man suchte seine Nähe, um ihn zu umarmen, hochleben zu lassen, ihm mal rasch durchs Schwarzhaar zu streifen.

440Die Sinnlichkeit draufgängerisch-leidenschaftlichen Musizierens, das Aufgehen in Klangrausch und Rhythmus – bei diesem Mittags-Konzert wurde klar, was viele „passive“ Zuhörende ergreift und spontan aktiviert. Man ist bewegt von der Beweglichkeit sagenhafter Agilität auf dem Podium. Man öffnet sich. Man fühlt sich geradezu animalisch gebeutelt – via musica. Und wird selber kämpferisch, gemäß dem Motto von „Il Sistema“, das da heißt „Tocar y Luchar“, spielen und kämpfen.

Sir Simon überließ sich Gustav Mahlers Erster mit ebensolcher Hingabe, wie die ihm aufs Wort gehorchende Doppelhundertschaft des NCSOV. Naturidylle, gepaart mit der List und Lust des Volkstonalen. Erzählerisch Lautes und Leichtfüßiges wurde da produziert, kompakt in der Aussage, bald mit inniger Choral-untermalter Frömmigkeit, bald mit heftig auftrumpfender Militanz, die aber, gezähmt und gezwirbelt, nie ins Kriegerische ausarten durfte, trotz der Massigkeit und der doch recht wuchtigen Abundanz des Mammut-Orchesters.

Dass für die Schlussapotheose („Stürmisch bewegt – energisch“) nicht nur, nach des Komponisten Geheiß, die Hornisten aufstanden, sondern auch die Trompeter und Posaunisten, war ohnehin zu erwarten. Ein einziges Johlen, Jauchzen, Jubilieren im Festspielpublikum - dem standen  Freudentränen in den Augen.

Dieses Konzert ist übrigens per live-stream von Servus-TV übertragen worden - „Die Eltern der Kinder konnten daheim in Venezuela in den El Sistema-Zentren das Konzert live miterleben“, berichtete Intendant Alexander Pereira heute Montag (12.8.) bei einer Pressekonferenz.
Bilder: dpk/HG

 

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