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Die stapaziöse Dauerhaft auf der Probebühne

HINTERGRUND / SÄNGERGESUNDHEIT

16/08/13 Echtes Moos, Pilzsporen – kein Wunder, so die Sängerin Laura Aikin, die in Harrison Birtwistles Oper „Gawain“ die Hauptrolle singt, „dass wir alle nach zwanzig Minuten spüren, dass die Stimme am Ende ist“.

187Viel weißes Pulver und damit feiner Staub, Nebel, die Moos-Kostüme und dergleichen: Das Regietheater hält in dieser Salzburger Festspielproduktion für die Sängerinnen und Sänger einen ordentlichen Coctail an Stoffen bereit, um die Gesangskünstler sonst aus gutem Grund einen weiten Bogen machen.

Laura Aikin, eigentlich nur Zaungast bei einem Pressegespräch in Salzburg, bei dem es eigentlich um Sängermedizin ging, hat spontan aus der Schule geplaudert. Nicht, dass das eine Anklage gegen das Regietheater als solches geworden wäre, und auch nicht eine solche gegen die Festspiele. „Wir wollen spielen“, das sagt die Sopranistin mit Leidenschaft und wiederholt den Satz immer wieder. Die Sänger wollten sich nicht drücken vor den szenischen Aufgaben. Aber die Belastungen sollten doch so menschenfreundlich sein, dass Singen dann noch möglich ist.

186Elisabeth Kulman betreibt seit gut einem halben Jahr heftigen Lobbyismus in diese Richtung. Auch sie war natürlich dabei in dem Pressegespräch im Haus der Natur (gar kein schlechter Ort, weil um die Natur der Singstimme geht es logischer Weise). Auch sie klagt nicht die Salzburger Festspiele an, jedenfalls nicht diese alleine. Aber der „Falstaff“ soeben bietet sich natürlich an, um die missliche Lage für die Sänger anschaulich zu beschreiben: Sieben Vorstellungen in elf Tagen, inklusive Generalprobe, vier Vorstellungen gar in fünf Tagen – das kann man aus dem Festspielkalender herauslesen. Was das Publikum aber nicht mitbekommt: Drei Orchesterproben waren innerhalb von 76 Stunden angesetzt. Von notwendigen stimmlichen Regenerationsphasen keine Rede. Und noch mehr hineingeblickt in die Probenzeit: „Die zweieinhalb Wochen szenische Arbeit im März hätten für uns Sänger gereicht“, sagt Elisabeth Kulman rückblickend. Danach seien „die Abläufe gestanden und nicht mehr verändert“ worden. Tatsächlich folgten dann aber noch im Juli dreieinhalb Wochen Probebühnenpräsenz im Haus für Mozart, bis zu sechs, sieben Stunden täglich. „Das waren vor allem Proben technischer Abläufe, die uns Sänger ermüdeten und nichts brachten.“

188Gegen solchen Proben-Wildwuchs wenden sich Elisabeth Kulman und andere Mutige. Und sie bekommen von Theaterärzten und Stimm-Medizinern entschiedene Schützenhilfe. Ingo Titze, ein auf Stimmphysiologie spezialisierter Mediziner und Hochschullehrer in den USA, verglich die Schwingungen der Stimmbänder mit jenen eines Presslufthammers. Einsichtig, dass die mitvibrierenden Hände eines Arbeiters Schaden nähmen bei überlangem Hantieren mit dem Gerät. Titze hat vor allem auch Lehrer untersucht, die lange und laut reden müssen. 1,3 Millionen Stimmbandschwingungen an einem Unterrichtstag – kein Wunder dass das Risiko einer Stimmerkrankung bei 30 Prozent lägen, so der Wissenschafter.

Josef Schlömicher-Thier, Festspielarzt in Salzburg, weiß Genaueres über Sänger vor Ort: 43 Prozent seiner „Kundschaften“ im Festspielsommer kommen wegen akuter Infekte zu ihm. Mit 48 Prozent sei aber die Zahl jener höher, die auch über „sozialen Stress“ klagen. „Man muss im System funktionieren.“ Welche Stimmgruppen trifft es besonders? Soprane führen mit 44,3 Prozent die Liste an, die Bässe schlagen mit 22,5 Prozent interessanterweise noch die Tenöre (19 Prozent).

189Schlömicher-Thiers gute Botschaft: „Die meisten Probleme können wir in drei bis vier Tagen lösen.“ Das ist Wasser auf die Mühlen der Sänger-Lobbyisten Kulman & Co: „Die Ruhezeiten von zwei bis drei Tagen zwischen den Vorstellungen wären eine grundlegende Botschaft an die Verantwortlichen“, so Kulman. Ihre Kollegin Laura Aikin ergänzt: „Ein Pausentag wäre auch vor der Generalprobe ganz wichtig, denn da sitzen die für uns wirklich wichtigen Leute drin, Theaterdirektoren, Agenten und andere Interessierte.“

Sängerinnen und Theaterärzte beschreiben die Künstler als Gefangene in einem System, das die Szeniker vorgeben. Auf die Stimmphysiologie werde viel zu wenig Rücksicht genommen. Matthias Weikert, Theaterarzt in Regensburg: „Es geht sehr um die Probenintelligenz.“ Josef Schlömicher-Thier erzählt von einem Tenor, der vor Salzburg „an 17 Tagen 14 Mal den Papageno gesungen“ habe – und hier, am Beginn der Festspiele, stimmlich am Ende gewesen sei. „Ich sehe die Gefahr, dass sich der Opernbetrieb zu sehr der Musical-Welt anpasst.“

Dass Proben seit der Ära Pereira in Salzburg nicht mehr bezahlt werden, sondern nur noch Aufführungen, scheint auf den ersten Blick mit dem Problem der exzessiven Probenbelastung für Sänger nichts zu tun zu haben. Tatsächlich aber sei das Ausufern der Proben nur möglich, „weil wir nichts kosten“, heißt es von Sängerseite. Laura Aikin, die immer wieder ihre Einsatzfreude gerade fürs Szenische hervorhebt, sagt, sie wäre durchaus bereit, Honorar zu opfern zugunsten menschlicherer Arbeitsbedingungen.

Die Salzburger Verhältnisse sind bei weitem nicht das Schlimmste, was Sängerinnen und Sängern passieren könne. Laura Aikin erzählt von weit dislozierten Probenlokalen (aus merkantilen Gründen). Das sei für die Künstler ebenso belastend wie fehlende Ruhezeiten. Und das gezielte Haushalten mit der Stimme? „Markieren ist absolut Quatsch“, sagt Laura Aikin, „man ist körperlich da.“

Josef Schlömicher-Thier träumt davon, dass ein Prozent der Subventionen in die Verbesserung der Arbeitsmedizin für Künstler fließen sollten. Denn „wenn Kunst für die Gesellschaft wichtig ist, dann muss auch die Gesundheit der Künstler ein Thema sein“. Sein amerikanischer Kollege Ingo Titze sinniert: „Kunst ist auch eine Art Hochleistungssport.“ Im Sport aber sei es klar, dass es Gewinner und Verlierer gebe. In der Kunst müssen immer alle gewinnen. Das bedinge doppelte Aufmerksamkeit für die physische und psychische Gesundheit der Protagonisten.

Die Sängergesundheit ist dem Mediziner-Netzwerk COMET (Collegium Medicorum Theatri) ein Anliegen, www.comet-collegium.com
Elisabeth Kulman strebt die Vernetzung und Unterstützung von Künstlern auch über das Internet-Portal www.artbutfair.org an.
Bilder: dpk-krie

 

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