asdf
 

Wenn Abraham den Sohn doch schlachtet

FESTSPIELE / BENJAMIN BRITTEN / WAR-REQUIEM

19/08/13 Ob man nach Auschwitz Gedichte noch schreiben kann? Wer so fragt, muss natürlich auch reflektieren, ob man nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt reinen Gewissens ein Requiem in christlichem Erlösungs-Sinn komponieren darf. - Benjamin Brittens „War Requiem“ mit Anna Netrebko, Ian Bostridge und Thomas Hampson.

Von Reinhard Kriechbaum

202Genau diese Frage hat Benjamin Britten gestellt, als es darum ging, 1962 eine Gedenkmusik für die Weihe der Kathedrale von Coventry zu schreiben: jener neuen Kirche zwischen den gotischen Ruinen, die von der alten Kirche geblieben waren. 1940 hatten deutsche Bomber das Bauwerk (und Stadt Coventry) zerstört. „Operation Mondscheinsonate“ hatte die Aktion bei den deutschen Militärs geheißen…

Nach dieser Barbarei also ein Requiem, mündend in die Zutrauens-Idylle „In paradisum deducant te Angeli“? Unvorstellbar für Benjamin Britten, der den Text deshalb konterkartierte mit Gedichten des im ersten Weltkrieg gefallenen Schriftstellers Wilfred Owen. „Was für Totenglocken gebühren denen, die wie Vieh sterben“ – so meldet sich der Tenor bald zu Wort, unterbricht damit das „et lux perpetua“ des Chors und unterläuft das fromme „Te decet hymnus, Deus in Sion“ des Kinderchors.

200Brittens viel zu selten aufgeführtes „War-Requiem“ also bei den Festspielen, zeitlich in unmittelbarer Nähe zu den drei Aufführungen des Verdi-Requiems. Hoffentlich haben viele Leute beides gehört. Das „Dies irae“ Brittens ist kaum weniger effektvoll als jenes von Verdi, nur das hier die Blechbläser geradezu penetrant zum Appell rufen, die Schlachtfeld-Assoziationen deutlich näher sind. Antonio Pappano hat am Pult von orchestra e Coro dell‘Academia Nationale di Santa Cecilia dieses aufrüttelnde Werk mit der notwendigen großen Geste umgesetzt: Es geht ja sehr wesentlich darum, die Erschütterung des Gottvertrauens zu vermitteln. Benjamin Britten hat das gelöst, indem er die liturgischen Formel, die Sprache des Rituals harmonisch nachhaltig eintrübt, vor allem zu Beginn des anderthalbstündigen, überwältigenden Musik-Tableaus auch in Richtung Sprechgesang stammeln lässt und mit viel Glockengebimmel vorführt, dass man manche Formulierung rechtens für hohl halten darf, wenn man das „echte Leben“ dagegen hält.

201Mit Ian Bostridge (Tenor) und Thomas Hampson (Bariton) standen vielleicht die derzeit besten „Erzähler“ englischer Zunge überhaupt zur Verfügung. Ihre entscheidende Aufgabe war es ja, den ideologischen Gegenpol, die persönlichen Zweifel am vermeintlichen Heils- und Erlösungswerk auszudrücken. Britten hat die Gedichtvertonungen einem separierten Kammerorchester mit Bläser- und Schlagzeugdominanz anvertraut, rechts vorne positioniert: Das nicht selten aggressive Schwatzen der Holzbläser verstärkt diese nachhaltigen Irritationen des geistlichen Texts.

199Wieder eine andere Stellung nimmt die dritte Solostimme ein: Anna Netrebko war unmittelbar vor dem Chor postiert, denn der Sopran ist quasi Advocatus Dei in diesem Durchdeklinieren von Schreckensszenarien mit Versöhnungsoption, das keineswegs ohne Friktionen zu dem „Let us sleep“ der beiden Gefallenen. Den anspruchsvollen Part hat Anna Netrebko mit Disziplin gerade im Dialogisieren mit den Frauenstimmen  gestaltet und doch auch vielIndividualität vermittelt. Die Schluchzer und Seufzer des „Lacrimosa“ waren eindrucksvoll, diese Riesensprünge wollen ja auch erst im Vokalausgleich bewältigt sein.

Es gibt im War-Requiem ja viele Passagen, die unmittelbar unter die Haut gehen. In einem „normalen“ Requiem nach christlichem Verständnis ist die Seele ja spätestens ab dem Offertorium aus dem Schneider. Anders ging Benjamin britten vor: Da darf sich der Chor polyphon mächtig aufplustern mit seinem „Sed signifer sanctus Michael“, aber dann ist da nichts mit dem sicheren geleit durch den Erzengel, denn sogleich wird von Tenor und Bariton die Geschichte von Abraham ganz anders erzählt: Freilich, da will der Engel den Opfertod seines Sohns verhindern, aber Abraham hört nicht auf die Stimme von oben und schlachtet seinen Sohn „and half the seed of Europe, one by one“ (die halbe Saat Europas, einen nach dem andern). Was richtet da der (hinter der Bühne postierte) Kinderchor mit seinem „Hostias“ aus?

Kompliment für den „Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor“ unter Wolfgang Götz, dessen Part hier deutlich exponierter war als jener in Mahlers „Achter“ bei Festspielbeginn. Wenigstens zehn Sekunden Stille, bevor der Jubel losbrach – das ist schon viel, gemessen an der bei den Festspielen meist üblichen Vorlaut-Pascherei. Da dürfte eine Botschaft angekommen sein, obwohl zwischendurch auch partiell Unruhe zu verzeichnen war bei einem Publikum, das doch eher wegen der Netrebko und nicht wegen Britten gekommen war.

Hörfunkübertragung am 8. September um 11.03 in Ö1. Das Konzert wurde aber auch mit Kameras aufgezeichnet und wird zu Allerheiligen (1. November) in ORF2 ausgestrahlt.
Bilder:  SFS / Michael Größinger

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014