asdf
 

Ein strenger Musikdenker

FESTSPIELE / SWR-ORCHESTER / GIELEN

22/08/13 Ein großer alter Herr von 86 Jahren interpretiert im Großen Festspielhaus mit „seinem“ Orchester Gustav Mahlers „Tragische“ und es ist nicht ausverkauft. Michael Gielens Mahler-Sicht bleibt Geschmackssache, höchst bewundernswert ist sie allemal.

Von Gottfried Franz Kasparek

213Alle Achtung gebührt der gestalterischen Souveränität, der perfekten Klangregie, der ungebrochenen intellektuellen Spannweite, mit der Gielen diesen gewaltigen symphonischen Roman erfüllt. „Heftig, aber markig“, Mahlers Spielanweisung zum ersten Satz, wird penibel entsprochen. „Aber was man musiziert, ist doch nur der ganze – also fühlende, denkende, atmende, leidende – Mensch.“ So Mahler über seine „Sechste“. Das Denken ist bei Gielen wie immer am besten aufgehoben, so klar, so transparent bei aller Kraftentfaltung werden auch die extremsten Gefühlsausbrüche durchleuchtet. Der große Atem stellt sich durchaus ein. Mag sein, dass das Fühlen phasenweise etwas mehr durchschimmert als früher, dass die gläserne Analyse nicht mehr jegliche Aktion dominiert – auch strenge Musikdenker werden im Alter ein wenig milder.

Michael Gielen stellt, eher ungewöhnlich, aber von Mahler autorisiert, das Andante an die zweite und das Scherzo an die dritte Stelle. Die mystisch-naturhafte Gegenwelt des Andante-Satzes wird relativ beschleunigt, aber dennoch in geradezu stoischer Ruhe und ohne Geheimnisse zum Klingen gebracht. Der ganze Satz gewinnt dadurch etwas entrückt Klassisches, wirkt wie ein Blick in eine ferne Welt. Das groteske Scherzo ist natürlich Gielens Domäne, da kann er die ganze Zerrissenheit, die immer wieder verblüffende Modernität Mahlers ausspielen, die schroffen Spaltklänge, die hinkenden, verqueren Rhythmen. Das geht tatsächlich oft durch Mark und Bein. Der Marsch in den Tod, das genial-plakative Finale mit seinen trotzig gesteigerten emotionalen Explosionen, seinen vernichtenden Hammerschlägen, seinem lichtlosen Ende – man kann es kaum stringenter gestalten. Und ganz zum Schluss entsteht düstere Tragik, die auch zu berühren vermag.

Der Maestro schaffte es, den obligaten Publikumsjubel ein paar stille Sekunden lang hintan zu halten, wofür ihm besonders gedankt sei. Der Jubel galt natürlich auch dem mit Gielen so stark verbundenen SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, wie es so umständlich heißt. In Riesenbesetzung angetreten, erfüllten die Musikerinnen und Musiker alle Vorstellungen ihres Meisters getreulich und präsentierten sich überhaupt als beeindruckendes und hochkarätiges Kollektiv mit lauter famosen Solisten. Metallischer Klang dominierte, doch der Konzertmeister zum Beispiel zeigte auch lyrische Qualitäten. Jedenfalls ein deutsches  Eliteorchester von Weltrang. Ob es noch zu retten ist?

Vor dem Festspielhaus waren Transparente aufgestellt, auf denen gegen die geplante Fusionierung der zwei SWR-Orchester protestiert wurde. Alexander Pereira ergriff vor dem Konzert das Wort und warb mit Inbrunst und Charme für den Weiterbestand, ja deklarierte sich sogar als Fan von Donaueschingen, wo das Orchester eine Hauptrolle spielt. Im derzeit von erschreckender Anti-Kulturpolitik bestimmten Baden-Württemberg – zum Beispiel soll die Musikuniversität Mannheim einer Pop-Akademie weichen – dürfte aber der sparwütige, aber wohl auch zum Sparen gezwungene Rundfunk mehr Chancen haben und die Fusion eines des führenden Orchester für neuere Musik mit dem eher von Maestri wie Celibidache und Norrington geprägten RSO Stuttgart unausweichlich sein. Bis 2015 darf noch gekämpft und gehofft werden…

Bild: SFS / Wolfgang Lienbacher

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014