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Sein Irrsinn rang mit göttlichen Dingen

BUCHBESPRECHUNG / WEICHSELBAUM / GEORG TRAKL

03/11/14 „Er ist wohl kein Opfer des Krieges. Es war mir immer unbegreiflich, daß er leben konnte. Sein Irrsinn rang mit göttlichen Dingen.“ Diese Sätze hat Karl Kraus geschrieben - in einem Brief auf die Nachricht von Georg Trakls Tod. Zu finden sind sie in Hans Weichselbaums Trakl-Biographie. Anlässlich des hundertsten Todestages von Georg Trakl - am 3. November – wurde das Standardwerk neu überarbeitet.

Von Heidemarie Klabacher

„Ich sah, wie Trakl mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen an der Bretterwand der Scheune lehnte. Die Kappe war seinen Händen entglitten. Er merkte es nicht und ohne auf Zuspruch zu hören, keuchte er: ‚Was kann ich tun? Wie soll ich helfen? Es ist unerträglich.’“ Tief habe er sich den Augenblick eingeprägt: der Menschheit ganzer Jammer, hier habe er einen angefasst.“

Der Menschheit ganzen Jammer – er hat der junge Georg Trakl an der Ostfront des Ersten Weltkrieges in Galizien (Westukraine/Südpolen) angefasst in der Schlacht bei Grodek zwischen 8. und 11. September 1914: „Die russischen Einheiten waren dem österreichischen Gegner um 800 Geschütze überlegen. Die Leichen waren wohl in zehn Lagen über einander geschichtet, hie und da rührte sich noch eine Hand, ein bleicher Mund stöhnte.“ Und hier hätte Georg Trakl – der ausgebildete Apotheker war als „Militärmedikamentenakzessit“ eingerückt – helfen sollen: „Er musste … in einer Scheune nahe dem Hauptplatz des Ortes neunzig Schwerverwundete ohne ärztliche Assistenz betreuen“, schreibt Hans Weichselbaum. „Noch Wochen später hatte er das Stöhnen der Gepeinigten im Ohr und ihre Bitten, ihrer Qual ein Ende zu machen.“ In diesen Tagen hat ein Augenzeuge gesehen und beschrieben, wie Trakl mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen an der Bretterwand der Scheune lehnte…

Um die traumatisierenden Ereignisse am „Rande“ der Schlacht um Grodek, die zu Trakls Selbstmord kaum drei Monate später – am 3. November 1914 – führen sollten, weiß man ja nicht nur als Salzburger im großen und ganzen Bescheid. Doch kaum irgendwo kommt man ihnen so nahe, wie in Hans Weichselbaums Biographie. Sachlich nüchtern, zitatengespickt – gar nicht immer leicht zu lesen mit vielen kursiv gesetzten Passagen, Fußnoten und Klammerausdrücken – vermittelt dieses sachlich wissenschaftliche Darstellung ein akribisch genaues Bild von Leben und Wirkungsgeschichte Trakls - und eben auch ein Bild von unvorstellbarem Kriegsgräuel. Ihm direkt ausgeliefert: Georg Trakl, sensibel, schon als Kind in sich zurückgezogen, später mehr noch als mit den Drogen mit sich selber kämpfend…

Spannend und bewegend, die Darstellung Weichselbaums, wie etwa der Philosoph Ludwig Wittgenstein über viele Fäden mit Georg Trakls verbunden war, ohne ihn je getroffen zu haben. Noch wenige Tage vor seinem Tod habe Trakl eine Feldpostkarte an Wittgenstein geschrieben und um seinen Besuch gebeten.

„Um den 22. September sei Trakl … beim Nachtmahl im Kreis der Kameraden plötzlich aufgestanden und mit der angsterpreßten Erklärung, er könnte nicht mehr weiterleben, man möge entschuldigen, aber er müsse sich erschießen, hinausgestützt; worauf Kameraden ihm nacheilten und ihm, dem Kraft, Wille und Bewusstsein schwanden, die Pistole aus der Hand nahmen.“

In diesen Tagen müsse, schreibt Weichselbaum im Kapitel „Ohne Weg“, das Gedicht „Grodek“ entstanden sein. Ein düsteres Gedicht? Natürlich. Hat Trakl damit doch versucht, die erschütternden Eindrücke verarbeiten. Ist doch von „sterbenden Kriegern“ und der „wilden Klage ihrer zerbrochenen Münder“ die Rede. „Alle Straßen münden in schwarze Verwesung“... In „Grodek ist aber auch die Rede von „goldnen Ebenen und blauen Seen“ über denen die Sonne freilich „düstrer hinrollt“. Dennoch fehlt selbst im schwärzesten Dunkel nicht das Licht „unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen“.

Die letzten vier Wochen seines Lebens verbrachte Georg Trakl im Garnisonsspital in Krakau, äußerte immer den Wunsch, an die Front zurückkehren zu dürfen, wohl aus Angst, wegen seines Selbstmordversuches wegen Mutlosigkeit vor dem Fein vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. „Als alle, die er um einen Besuch gebeten hatte ausblieben und er seine Hoffungen, wieder ‚ins Feld’ und an die Front zu kommen, aufgegeben hatte, dürfte er sich absichtlich in die gefährliche Zone zwischen Leben und Tod begeben haben…“ Am 2. November sei er guten Mutes gewesen, „am übernächsten Tag entlassen und nach Innsbruck beurlaubt zu werden“, berichtet Trakls „Bursche“ und Gehilfe Mathias Roth. „Den ganzen nächsten Tag (3. November) lag er bewusstlos in seiner Zelle.“ Trotz „Excitationsmitteln hat sich sein Zustand nicht gebessert, um 9 abds exitus letalis“. Die Kokainvergiftung wurde in der Todesanzeige des Garnisonspitals am 4. November zur „Herzlähmung“.

Ludwig Wittgenstein, der übrigens als Mäzen für unbemittelte österreichische Künstler - darunter auch Georg Trakl - aufgetreten ist, hat dessen Gedichte erst nach dem Tod des Dichters: „Ich verstehe sie nicht, aber ihr Ton beglückt mich. Es ist der Ton eines Wahrhaft genialen Menschen.“

Hans Weichselbaum: Georg Trakl. Eine Biographie. Otto Müller Verlag, Salzburg 2014. 224 Seiten. 24 Euro, e-Book 19,90 Euro - www.omvs.at

Bilder: www.kulturvereinigung.com

 

 

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