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In eigener Tradition mit Becken-Tusch

OSTERFESTSPIELE / ORCHESTERKONZERT I

03/04/23 In der Bruckner-Interpretationsgeschichte kommt dem Gewandhausorchester Leipzig, heuer Residenzorchester der Osterfestspiele, ein besonderer Rang zu. Die Siebte Symphonie beispielsweise hat Arthur Nikisch, damals Gewandhaus-Kapellmeister, 1884 uraufgeführt. Bruckner hatte guten Grund, ihm unendlich dankbar zu sein.

Von Reinhard Kriechbaum

Nikisch hat nämlich etwas gemacht, was in Bruckners Heimat ganz unüblich war: Er hat Bruckners Noten ernst genommen und den Komponisten nicht (wie Franz Schalk in Wien) mit Verbesserungsvorschlägen bevormundet. Zum Vorteil der Siebten, deren Uraufführung damals erstens ein echter Erfolg wurde und die, zweitens, nicht wie die meisten anderen Symphonien Bruckners in mehreren Umarbeitungen auf uns gekommen ist.

Doch, eine Sache ist verdächtig. Am Höhepunkt des Adagios schien Arthur Nikisch ein Beckenschlag mitsamt Triangel-Geklingel angebracht. Die vom Dirigenten in die Partitur geklebten Notenzeilen hat Bruckner später mit mehreren Fragezeichen kommentiert, diese später weggestrichen und dann noch „gilt nicht“ dazugeschrieben. Was jetzt? Mit Tusch oder ohne? Das Gewandhausorchester liebt seine Tradition, und so hält es auch sein derzeitiger Chef Andris Nelsons. Zugegeben: Es ist einem bei diesem Beckenschlag kalt den Rücken hinunter gelaufen am Sonntag (2.4.) im Großen Festspielhaus, so eminent verdichtend hat Nelsons das Orchester auf dieses Fortissimo hingeführt. Man hätte sich das in dem Moment gar nicht ohne Beckenschlag vorstellen wollen.

Wenn man aber eine solche Energie entfesselt, will sie auch wieder eingefangen sein. Und das hat nicht minder beeindruckt: Wie Nelson die kurze Melodie der Soloflöte als ultrakurzen eigenen Gedanken hat aufblitzen lassen zum Pizzicato der Ersten Geigen, wie er dann sogleich elegant hinübergeleitet hat zum Choral der Wagner-Tuben, wie dann nach einigem Hin und Her schließlich nochmal die Flöte die Führung übernommen hat... Ja, ja, das steht so in den Noten, seit bald 140 Jahren. Aber in der phantasievollen Sicht und im sorgsam die Gewichte balancierenden Zugriff von Andris Nelsons hat es eine ganz eigene dramaturgische Qualität gewonnen.

Im Eröffnungssatz der Siebten war es einnehmend, wie viele Poesie-Freiräume Nelsons erschlossen hat. Deutlicher als die meisten seiner Pultkollegen hat er Besonderheiten in der Stimmführung so herausgearbeitet, dass man als Hörer das melodische und auch das harmonische Woher und Wohin gleichsam neu hat mitdenken dürfen. Auch das tat seine Wirkung und stand den großen Bögen nie im Weg. Fürs Handfeste, für den Energieaufbau bleibt ja immer noch genug Zeit. Nelsons und seine streichenden und blasenden Mitstreiter haben profunde Erfahrung mit Bruckner, nicht nur aus lang vergangener Zeit. Schließlich ist Herbert Blomstaedt, Nelsons unmittelbarer Vorgänger als Gewandhaus-Kapellmeister, auch eine gewichtige Bruckner-Stimme unserer Tage.

Sagenhaft, wie viele charismatische Schattierungen das emporschnellende Motiv im vierten Satz bekommen hat. Auch da scheinbar Bestvertrautes zum Neu-Hören. Und Überraschung: Die Schlusssteigerung ließ Andris Nelsons dann gar nicht knallen, sondern eher mit Understatement nehmen.

Ordentlich geknallt hat es dafür vor der Pause. Der Zorn Gottes war ein Kompositionsauftrag der Osterfestspiele an Sofia Gubaidulina. Lang ist die jetzt 91jährige Dame mit dem Stück nicht fertig geworden, die Uraufführung wurde deshalb und wegen der Pandemie einige Male verschoben. Nichts da mit Salzburg, bei Wien Modern wurde das göttliche Wüten im Brennspiegel eines Riesenorchesters schließlich 2021 uraufgeführt, und das im Stream. Nun also doch in Salzburg. Das Gewandhausorchester passt gut, schließlich ist Sofia Gubaidulina für drei Jahre Gewandhaus-Komponistin.

Dass einer Feinsinnigen wie ihr im hohen Alter kein gütiger Himmelvater einfällt, sondern sie den Zorn Gottes mit beispielloser Urgewalt ausmalt, sollte sanftmütigen Theologen zu denken geben. Das Große Festspielhaus ist gerade nicht zu klein für diese Energie-Orgie, die aber nie nur rabiat wirkt. Auch in den oftmals auf die Spitze getriebenen Forte-Klängen wird ein erstaunlich reichhaltiges Chroma entfaltet. Da war eine Meisterin der Instrumentation am (Spät-)Werk.

Das Konzert wird bei den Osterfestspielen am Samstag (8.4.) wiederholt. Hörfunkübertragung am Ostermontag (10.4.) um 11 Uhr in Ö1 – osterfestspiele.at
Bilder: Osterfestspiele Salzburg / Erika Mayer

 

 

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