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Alle Lust will Ewigkeit

OSTERFESTSPIELE / STAATSKAPELLE / THIELEMANN / GARANCA

28/03/18 Mahlers „Dritte“. Bimm bamm. Über dem „süßen Gesang“ der Engel im fünften Satz könnte man ja fast schon wieder vergessen haben, was an martialischer Marschmusik in der riesenhaften „Ersten Abteilung“ der Symphonie in d-Moll ausgebreitet wird.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Herausforderung einer Interpretation also: wie die Kurve kratzen von hinnen nach dannen? Christian Thielemann, der um Mahler gemeinhin einen weiten Bogen macht, hat sich im dritten der österlichen Konzerte der Sächsischen Staatskapelle Dresden die „Dritte“ vorgeknöpft. Wenn schon Mahler, dann mag er's monumental. In München hat er 2010, damals noch Chef der dortigen Philharmoniker, die „Symphonie der Tausend“ gemacht.

Thielemann begibt sich auf eine Augenhöhe mit dem Komponisten. Man verkehrt quasi als Orchester-Handwerker miteinander. Um sagenhafte Genauigkeit bemüht sich Thielemann in diesen fast 95 Minuten. Er ist pingelig bedacht aufs Befolgen der Tempoangaben, in denen rund ein Dutzendmal „nicht eilen“ steht. Das Eilige hat sich Mahler sowieso schon verbeten mit Vorschriften wie „ohne Hast“ oder „ruhevoll“. Thielemann nimmt sich also für die „Dritte“ alle Zeit der Welt, der hiesigen und der transzendentalen. Er kann drauf zählen, dass der Staatskapelle der Atem nicht verloren geht.

Traumhaft sicher auch an diesem Abend die Hörner, souverän die Soloposaune. Und erst, im Scherzando, jenes von draußen herein klingende Gebläse „Wie die Weise eines Posthorns“: Mathias Schmutzler war dieser Meister (am Flügelhorn). Thielemann „interpretiert“ da nicht viel herum, er lässt spielen, und zwar so, dass man wirklich viel mitbekommt von den unzähligen Auffälligkeiten der Instrumentation.

Im Eröffnungssatz erinnerte schon manches an ein Werkstück, eingespannt in die Hobelbank, sehr heftig behandelt mit jenem Werkzeug, das bekanntlich Späne fliegen lässt. Man dachte bei jedem der Wunderhorn-Zitate unwillkürlich an Maserungen und Aststrukturen des Holzes, die eben dann zutage kommen hinter Bergen von Hobelscharten, wenn sie der Meister mal beiseite schiebt, um die Dicke des Bretts zu prüfen. Musikalisch: Der Marschrhythmus wird zelebriert, das Idiom akkurat durchdekliniert von der grellen Parodie bis zum Trauermarsch. Ein Pan-Symphonikon des Viervierteltakts, wie es Gustav Mahler als Kind in der Garnisonsstadt Iglau aufgefasst haben mag.

Christian Thielemann nimmt Gustav Mahler jedenfalls Ton um Ton, Wort um Wort ganz ernst. Ironie ist kein Thema für ihn, und „Chutzpe“ wäre ein Begriff, den er wohl erst im Frendwörterbuch nachschlagen müsste. Beides täte – nicht nur dem ersten Satz – keineswegs schaden in der „Dritten“, aber das ist nicht Thielemanns Welt. Genau deshalb kommt auch im Folgenden, in den Menuett- und Scherzo-Verschnitten, nicht die Spur einer Brechung ins klanglich stets betörende Spiel der Staatskapelle. Tonschöner ist das alles nicht denkbar, pfiffiger, hintersinniger oder gar arglistiger sehr wohl.

Aber dann kam ja das „Misterioso“ und mit ihm Elïna Garanča. „Oh Mensch! Gib acht!“ Das lässt die Garanča einfach so aus sich heraus strömen, ohne Vibrato, ohne irgendwelche aufgesetzten Akzente, als sei's die natürlichste Sache der Welt. „Doch alle Lust will Ewigkeit“? Natürlich ein Crescendo, natürlich ein Höhepunkt – aber ein mit Augenmaß und Disziplin angesteuerter. Nach solcher Dichte muss einfach das „Bimm bamm“ kommen, müssen die Engel mit den himmlischen Freuden herausplatzen. In der Vierten Symphonie hat Mahler diese noch expliziter beschriebenen, hier aber sind sie schon melodisch charmant entwickelt. Der „Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor“ und die Damen des Weiener Singvereins (Einstudierung Wolfgang Götz und Johannes Prinz) haben beigetragen zur Schwererlosigkeit dieser Szenerie weit jenseits aller Gravitationskraft.

So wirklich angekommen bei „seinem“ Mahler ist Thielmann in der letzten Viertelstunde, in jenem unendlichen Streichergesang, der das Adagio der „Zehnten“ fast vorwegnimmt, und den Thielemann dann wirklich mit Herzblut an die unterschiedlich mit Bläsern untermischten oder von ihnen gekrönten Ausdrucksgipfel heranführt. Sie jagten wohlige Schauer über den Rücken.

Genauer gesagt: Sie jagten diese Schauer wohl nur denen im Auditorium über den Rücken, die Ohren haben. Das ist mutmaßlich eh die Mehrheit – aber nicht wenige sind doch mit ihrem Applaus und Bravo-Schreien rücksichtslos dreingefahren in die Stimmung. Thielemann hat die unmusikalischen Voreiligen dann nochmal zum Schweigen gebracht. Aber man muss schon festhalten: Wir alle, Künstler und Publikum, sind um die Rowdy-Enthusiasten auf den Nachbarsitzen nicht zu beneiden.

Wiederholung am Karfreitag (30.3.) um 19 Uhr – www.osterfestspiele-salzburg.at
Bilder: OFS / Matthias Creutziger

 

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