GRAZ / OPER / IDOMENEO
30/09/25 Der Kreterkönig Idomeneo gerät bei der Heimkehr von Troja in einen Seesturm und verspricht in Todesnot, für seine Rettung den ersten Menschen zu opfern, der ihm an Land begegnet. Das wird sein Sohn Idamante sein. Nicht das einzige Opfer eines Krieges.
Von Reinhard Kriechbaum
Idomeneos fataler Schwur ist allein schon eine packende Story. Mozarts Oper Idomeneo, mit der die Grazer Oper die Spielzeit eröffnet hat, hält freilich noch andere Geschichten bereit. Regisseur Philipp Westerbarkei interessiert mehr noch, was zehn Jahre Trojanischer Krieg mit den Menschen gemacht hat: Ilia, die trojanische Prinzessin, die auf Kreta als Kriegsgefangene gelandet ist, und Thronfolger Idamante – das wäre unter „normalen“ Bedingungen ein Liebespaar zum Vorzeigen. Die grausame Vorgeschichte und die politischen Zustände machen die Zuneigung, die die beiden in der Grazer Inszenierung geradezu handfest ausleben dürfen, beinah unmöglich. Elettra hat sich überhaupt schon ausgeklinkt aus der Wirklichkeit. Ihr hysterischer, logischerweise vergeblicher Feldzug um die Liebe des Idamante legt schon manische Züge frei.
Der Chor, in des Regisseurs Lesart einzig die kriegsgefangenen Trojer, hat seit dem letzten Gemetzel offenbar noch nicht einmal die Kleider wechseln können. Die weißen Gewänder sind noch blutdurdränkt, Männer wie Frauen haben körperliche, gewiss auch seelische Wunden zuhauf davongetragen.
Die Wegweiser stehen also auf Expressivität. Dieser arbeitete man auch von musikalischer Seite mit nicht geringer Vehemenz zu. Es sind nicht wenige Noten dem Rotstift zum Opfer gefallen, und Johannes Braun am Pult der Grazer Philharmoniker nutzt mit analytischer Übersicht wirklich jeden Seitengedanken in Mozarts Partitur, um dem dramatischen Potential nachzuhelfen. Das packt.
Anna Brull als Idamante und Ekaterina Solunya als Ilia kommt gerade diese auf- und ausgereizte Dramatik entgegen. Es kann in dem orchestralen Umfeld gar nicht zu viel sein an Emotion. Regisseur Philipp Westerbarkei hilft optisch nach, indem er ein Messer in den Mittelpunkt stellt. Da ist jede Figur irgendwie stets „stichbereit“ – weniger um zuzustechen als dem eigenen Leben ein Ende zu bereiten. Um dieses Messer entsteht in einer Quintett-Nummer sogar ein respektables Gerangel. Elettra (Marjukka Tepponen) hat stimmlich beste Optionen, Derangiertheit und Überhitzung auszuspielen. Wie sie sich geradezu verzweifelt in ihrer Arie vor Idamante entblößt, nicht nur Bein zeigt (und dieser sich geradezu angewidert abwendet) – das ist einer der musikalisch wie szenisch packenden Momente dieses Abends.
Mitten im Tohuwabohu der aus dem Ruder laufenden Emotionen König Idomeneo: Dmitry Ivanchey ist ein Tenor, der jede Höhe völlig unangestrengt meistert und seine Stärke vor allem im Lyrischen hat. Er ist ein zurückhaltender König. Einer, der leichten Herzens zuletzt auf die Macht zugunsten seines Sohns verzichten wird. Der Stimme gewordene Geist der Aufklärung... Ein tolles Ensemble, gleichgewichtig und gediegen einstudiert – ein musikalisch großer Abend.
Die szenische Lösung von Tastjana Ivchina (Bühne und Kostüme): Ein drehbarer Kubus ohne rechte Winkel ist das einzige Ausstattungsstück in der sonst leeren Bühne, deren Maschinerie man manchmal sieht. Ein paar schmucklose Sessel und ein Tisch. Fast nichts an Ausstattung also, alle Aufmerksamkeit gilt zweieinhalb Stunden lang also ausschließlich den malträtierten Gefühlen der Protagonisten. Viel Durchschlagskraft kommt auch vom Chor, von Johannes Köhler bestens einstudiert und in der Personenführung sehr individuell gezeichnet.
Aufführungen bis 30. November 2025 – oper-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Oper Graz / Werner Kmetitsch