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Der Schalk der Rad-Schläger und Turmbauer

WINTERFEST / HALKA

30/11/18 Eigentlich witzig die Vorstellung, dass man in Marokko einst Menschenpyramiden gebildet hat, um über hohe Mauern zu blicken, sprich: um die sich verbarrikadierenden Feinde auszuspähen. Die Verteidiger hätten keine Chance, wenn die Groupe Acrobatique de Tanger antritt zur Belagerung...

Von Reinhard Kriechbaum

Bei der diesjährigen Winterfest-Eröffnungspremiere am Donnerstag (29.11.) hat man aber auch auf eine andere Idee kommen können: Mit der geradezu archaischen Kraft, mit der diese fünfzehnköpfige Gruppe in einem fort Räder und Salti schlägt, zielen diese Eroberer auch darauf ab, den Feind schwindlig zu machen...

Aber Feinde haben sie ja beim Winterfest gewiss nicht vor sich. Nach der Premiere – ganz im Gegenteil – ein enthusiasmiertes Publikum, das sich auf diese exotische Form des Nouveau Cirque lustvoll eingelassen, Musik und Akrobatik spürbar goutiert hat. Und die Zirkuskünstler selbst? Die hörte man nach Ende der Vorstellung noch hinter der Bühne eine Zeit lang klatschen und singen, so als ob sie selbst erst „nachglühen“ müssten nach einer Performance auf Energie-Höchststand.

Was für eine Geschichte sie in der Produktion Halka eigentlich erzählen? Darüber könnte man wunderbar spekulieren. Vielleicht geht jeder Besucher, jede Besucherin mit seiner je eigenen Erzählung aus dem Zelt. Jedenfalls ist Halka ein Lobgesang auf das Ich-Sein in der Gruppe, also auf auf die Individualität in einem doch harmonischen Kollektiv.

Halka heißt Rad, und das könnte man nun einfach ganz wörtlich so nehmen, als da ein Jeder seine Räder schlagen kann, ohne dass andere unter eben diese kämen.

Das Individuelle fängt schon mit dem Gewand an. Manche tragen traditionelle Hosen, andere Anzüge. Da wird keine autochthone Kultur beschworen, sondern ein heutiges Abbild von Multikulturalität. Wir verstehen die Texte der Lieder nicht – nach Aussage der Ensembleleiterin Sanae el Kamouni geht es auch um Auswanderung nach Europa, um die Trennung von der Familie. Die Eindruck aus den gut 55 Minuten: Es sind fünfzehn charmante Überlebenskünstler am Werk, solche, die leben und leben lassen. Der Schalk steht diesen Charmeuren ins Gesicht geschrieben, und wenn sie sich mal nicht durchsetzen gegen die anderen – was soll's, es war einen Versuch wert und wird vielleicht beim nächsten Mal gelingen.

So also wirbeln sie herum, allein oder in kleinen Gruppen. Plötzlich entsteht da ein Turm, eine Pyramide. Sie alle sind ja ausgewiesene Spezialisten im Bodenturnen, aber wenn man auf den Turmbau aus Menschen spezialisiert ist, kann sich dieses auch in luftiger Höhe abspielen. Es verschlägt einem immer aufs Neue die Sprache, wie urplötzlich und mit welcher Leichtigkeit diese Formationen entstehen. Wie schnell einer oder eine doch ganz oben sein kann, gerade so, als ginge es gar nicht senkrecht bergauf...

Zwei musizieren auf Rahmentrommel und einem Saiteninstrument, alle können singen. Und manchmal tanzen sie auf ihren runden, roten Blechpodesten, die aussehen wie von Ölfässern heruntergeschnitten. Der Rhythmus fährt ein, und oft ist das Publikum aufgefordert, mitzuklatschen. Wer täte dies zu der Darbietung nicht liebend gerne?

Die Groupe Acrobatique de Tanger ist das erste zeitgenössische Circusensemble Marokkos. Man trägt die Tradition in sich, nicht vor sich her. Gerade das wirkt mehr als authentisch.

Die Groupe Acrobatique de Tanger ist bis 16. Dezember Gast beim Winterfest im Volksgarten – www.winterfest.at
Bilder: Winterfest / Erika Mayer
Zum Vorbericht Menschen-Pyramide als Geheim-Waffe

 

 

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