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Die Jäger und die Gejagten

SCHAUSPIELHAUS / DER GROSSE GATSBY

18/09/20 „...als Nächstes erlauben sie Mischehen zwischen Schwarzen und Weißen“. 95 Jahre ist es her, dass F. Scott Fitzgerald den Satz einer seiner Romanfiguren in den Mund gelegt hat. Die „Black Lives Matter“-Bewegung zeigt uns heute, dass die Geschichte im Grunde auf der Stelle tritt.

Von Reinhard Kriechbaum

Der Romanklassiker Der große Gatsby hat natürlich auch viele andere Aspekte, die unmittelbar ins Heute führen. Da ist eine Gesellschaft, die das Heute feiert, als ob es kein Morgen gäbe. Da ist einer – Jay Gatsby eben – der nicht am unteren Rand der Gesellschaft hat bleiben wollen, nachdem er ein Techtenlmechtel mit einer von „oben“ gehabt hat. Diese Jugendliebe Daisy ist unterdessen immer noch jung, aber eben verheiratet im Milieu von Ihresgleichen und Mutter eines kleinen Kindes. Ihr Mann Tom (er ist derjenige, dem vor „Mischehen“ graut, womit er nicht nur unterschiedliche Hautfarbe meint) nimmt es freilich seinerseits nicht so genau: Er hat ein Verhältnis mit der Frau eines Tankstellenbesitzers. Es braucht also schon viel Farbe und Musik der Roaring Twenties, sprich: viel Musik und viel Exaltiertheit, um all diese Beziehungsbrüche zu übertünchen und zu übertönen.

Eine gute Idee, für eine Bühnenfassung diese Epochen-zeichnende Musik und Farbe auszublenden, hinein zu tauchen in die Abgründe dieser Figuren. Da ist es deutlich dunkler, entschieden weniger glamourös. Fast schon ein bisserl kleinbürgerlich. Seelen-Biedermeier und exaltiertes Gesellschaftsleben stehen jedenfalls in einem Spannungsfeld, und es geht nichts zusammen. Nick Carraway, ein entfernter Verwandter von Daisy, und Jordan Baker, eine weitere Bekannte des Upper-Class-Paars, sind Augenzeugen und Chronisten des sich anbahnenden Beziehungsdramas.

Rudolf Frey hat aus dem Roman eine pfiffig verdichtete, rasante Filmschnitte suggerierende Bühnenfassung gemacht, die trotzdem so überhaupt nichts zu tun hat mit den vielen Verfilmungen, die dieser Stoff erlebt hat. Es ist eine Version, die unmittelbar auf die Seelen der Protagonisten hinzielt. Genau da setzte Regisseurin Irmgard Lübke an. Christiane Warnecke als Jordan Baker bleibt, wiewohl leidenschaftlich-zielstrebig, immer ganz am Rand. Eine Beobachterin eben wie Nick (was zwischen den beiden läuft, bleibt ja auch im Roman in Schwebe).

Bülent Özdil ist dieser rätselhafte „Große Gatsby“, von dem alle alles nur glauben und über den sie in Wirklichkeit nur wissen, dass er ein guter, zurückhaltender Gastgeber ist. Ein lächelnder Sympathie-Gewinner, der sein Ziel, die Rückeroberung von Daisy, aber zielstrebig betreibt. Der „Sportsfreund“ Nick – Simon Jaritz-Rudle – dient ihm als Werkzeug, bleibt aber selbst weitgehend draußen aus der Seelenverwirrung. Er ist ja nur der Chronist, wobei in dieser Bühnenfassung die Erzähl-Passagen auf alle aufgeteilt sind. Katharina von Harsdorf ist Daisy, eine junge Frau, der man in jeder exaltierten Geste An- und Verspannung ansieht, die herrührt von einer wahrscheinlich von vornherein als falsch erkannten Lebens-, Heiratsentscheidung. Heftig packt Tom seine zarte Frau an. Theo Helm gibt diesen selbstgewissen Rohling, der immerhin einen Pyrrhussieg erringen und seine Frau behalten wird.

Mit präzisen Skalpellschnitten legt Irmgard Lübke die Psychogramme frei. Sie hat ja schon oft im Schauspielhaus Salzburg inszeniert, und so ist eine äußerst typengerechte, glaubwürdige Besetzung zustande gekommen. Das Ensemble (Sophia Fischbacher, Wolfgang Kandler, Magdalena Oettl und Marcus Marotte) agiert auf beachtlichem sprechtechnischem Niveau, im emotionalen Ausdruck kontrolliert und präzis. Auch die kleineren Rollen halten, wie sich zeigt, Material für so manchen Seelen-Tiefenblick bereit.

Natürlich: Ganz ohne Musik kommt Der große Gatsby nicht aus. Fabio Buccafusco, der Mann am Klavier, ist fast ständig beschäftigt, hat immer die Akkorde und Floskeln für die jeweiligen Psycho-Schnitte bereit. Das hat viel Atmosphäre, so wie das im Grunde minimalistische Bühnenbild (Vincent Mesnaritsch), eigentlich nur ein paar Stangen und mobile Wände, einen Raum suggerieren. Da bleibt man also ganz weg vom Flair der Roaring Twenties und betont damit die Zeit-Ungebundenheit der Geschichte. Auch Kostümbildnerin Elke Gattinger bedient sich jeweils nur einiger weniger Details aus den 1920er Jahren.

Der gesellschaftliche Graben, den der eben keineswegs „Große“ Gatsby letztlich vergeblich zu überbrücken versucht – der ist heutzutage vielleicht noch tiefer, breiter, unüberwindlicher. „Es gibt nur die Jäger und die Gejagten“, heißt es einmal im Text. Und doch treten alle auf ihrer Stelle. „So kämpfen wir uns voran, Boote gegen die Strömung, unablässig zurückgetragen, der Vergangenheit zu.“ Der Schlusssatz des Romans ist ja legendär.

Aufführungen bis 24.Oktober – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese

 

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