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Ein Wunsch, der keine Flügel hat

FESTSPIELE / PENTHESILEA

30/07/18 Den „ganzen Schreckenspomp des Krieges“ ruft Penthesilea für den Endkampf herbei, in dessen Verlauf sie Achilles, den Geliebten, von einer Hundemeute wird stellen lassen und sich selbst im Wortsinn wird festbeißen an ihm.

Von Reinhard Kriechbaum

Solch ruinöse Frauen-Initiative ist über die 210 Jahre, die Kleists Trauerspiel nun alt ist, stets gleich verdächtig geblieben. Goethe – auch nicht der Frauenverächter einer – nörgelte dran herum und in #metoo-Zeiten springt einen das Männerunterwerfungs- und Nachkommenszeugungsritual der einbusigen Amazonen auch nicht gerade als literarische Causa prima an. Auf den ersten Blick jedenfalls nicht.

Johan Simons, mit Beginn der neuen Spielzeit Intendant in Bochum, lässt nun bei den Salzburger Festspielen (und in Bochum ab 10. November) noch einmal und genauer hinschauen. Er und sein Dramaturg Vasco Bönisch orten die Schlachtfelder nicht rund um Troja und nicht in der Antike. Das ist nur Folie. Zwei – und wirklich nur Penthesilea und Achilles – stehen da, schicksalhaft aufeinander bezogen, ganz nahe und doch immer auf Distanz. Um Liebende geht es, aber gar nicht sosehr um deren individuelle Befindlichkeiten und Psychogramme, sondern ums Grundsätzliche. Wie viel Selbstaufgabe ist Voraussetzung, und wie viel davon ist vertretbar, wenn zwei Menschen liebend aneinander geraten?

Nach der ersten kriegerischen Hetzerei – im schwarzen Dunkel des Bühnenhintergrunds – stehen sie erst mal außer Atem da. Unmittelbar an der Rampe, hinter einem waagrechten Lichtbalken im Boden, der ein kaltes Licht ausschickt. Penthesilea und Achilles, das sind nicht die Figuren für ein Dinner bei Kerzenlicht. Solche Beleuchtung (absolut leere Bühne: Johannes Schütz) wählt man für einen Operationssaal oder andere Gelegenheiten, wo es ums strukturhafte Schauen geht. Um den ungeschönten, unverfälschten Blick. Da verblasst der Helmer&Fellner'sche Historismus-Rokoko im Salzburger Landestheater und die Konturen zweier Menschen treten umso schärfer hervor.

Sandra Hüller ist Penthesilea. Kurzes blondes Haar, burschikos, ihrer Stärke gewiss. „Halb Furie, halb Grazie“, wird Achilles später mit anerkennendem Unterton sagen. Vor allem aber ist sie eine wirklich Liebende, mit diesem einen, bestimmten Ziel vor Augen: „Ein Wunsch, der keine Flügel hat.“ Jens Harzer macht da erst mal große Augen. Der aufrichtig-ungläubige Blick des Achill wird über weite Strecken das meist von ihr angeführte diskursive Ereignis begleiten. Für sie ist's ein liebesspielerisches Ausloten von Grenzen, das sie einmal gar mit einem saloppen Klaps auf sein Hinterteil quittiert. Für ihn, den am Schlachtfeld erprobten Haudegen, ist es erst einmal Kampf: „Oh Götter, haltet eure Erde fest!“

Erstaunlich, wie gut das Text-Einkochen, die Reduktion auf zwei Personen funktioniert. Erfreulich, wie viel Text (und nur Originaltext) stehen bleibt. Und geradezu verblüffend, wie differenziert und analytisch Kleists Blick auf dieses Paar ausfällt. In dem Stück in Vollform verstellt das viele Schlachtenbrimborium genau diese Lebensnähe. Das ist eine Erkenntnis dieses Theaterabends, der nicht nur von den beiden Darstellern, sondern auch vom Publikum durchaus einen langen Atem erwartet und Konzentriertheit voraussetzt. Aufmerksamkeit und Aufnahmebereitschaft waren im Salzburger Premierenauditorium spürbar.

Die schauspielerischen Leistungen der beiden Protagonisten sind allemal geeignet, entsprechende Neugier auf Langstrecke wach zu halten (zwei Stunden ohne Pause). Ihr ist „nicht vergönnt die Gunst, die sanftere, der Frauen“ und er ortet: „So viel regt sich in der Brust der Frau, das für den Tag nicht gemacht.“ Einsichtig, dass an Kleist und seine Zeit nicht die heutige Messlatte von Genderverständnis anzulegen ist. So viel Toleranz muss man schon mitbringen. Andrerseits: Auch bei Kleist ist sie die absolute Spielemacherin, auch wenn Achilles sich als rechter Playboy beschreibt und dem Amourösen mit fast kindischem Optimismus entgegen sieht: „Die Schäferstund' bleibt lang nicht aus.“

Hehrer Mythos wird quasi auf Praxisnähe heruntergebrochen. Die Vorstellung, dass die Amazonenkönigin den Mann besiegen muss, um ihn lieben zu können – da geht es genau um die Frage der Selbständigkeit, des Behaltens der Würde. Achilles' Winkelzüge, Penthesilea vorzugaukeln, sie habe gesiegt – das ist der Aspekt von Ehrlichkeit in einer Beziehung. Was Johan Simons, sein Dramaturg und die beiden famosen Schauspieler da also ausbreiten, ist ein klassisches Lehrstück. Es kommt aber nicht belehrend daher, sondern mit denkbar größter Emphathie. Könnte leicht sein, dass Sandra Hüller die sympathischste Männerzerfleischerin in der gesamten Aufführungsgeschichte der Penthesilea ist. Und Jens Harzer der denkbar verständnisvollste Achilles. Der hat bekanntlich eine empfindliche Ferse. Er zieht einen Stiefel aus, sie betätschelt den heiklen Körperteil, und die beiden kudern drauf los. So einfach könnt's mit der Liebe sein.

Aufführungen bis 9. August im Landestheater – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

 

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