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Kindermord boulevard-tauglich

FESTSPIELE / HINTERGRUND MÉDÉE

30/07/19 „Médée ist das wohl älteste Immigrantendrama der Welt. Wenn man keinen Zugang mehr zu Gerechtigkeit hat, weil man im Exil lebt, bekommt man vielleicht stärker das Gefühl, dass man selbst Gerechtigkeit schaffen muss“, sagt der Regisseur Simon Stone. Er inszeniert Luigi Cherubinis Oper Médée. Premiere ist heute Dienstag (30.7.) im Großen Festspielhaus. Thomas Hengelbrock dirigiert die Wiener Philharmoniker.

Von Anne Zeuner

„Das Publikum soll das Gefühl haben, dass das auf der Bühne Gezeigte etwas mit dem eigenen Leben zu tun hat“, sagt Regisseur Simon Stone. „Es war mir sehr wichtig, Räume zu schaffen, die der Gegenwart entsprechen und Fragen rund um dieses gesellschaftliche Drama aufwerfen.“

Seiner Rechte beraubt zu werden, sei das Schlimmste, was einem Menschen passieren könne. Es gehe ihm in seiner Inszenierung darum, das, was Cherubini schon in der Musik angelegt habe, zu unterstützen. „Wieso macht eine Mutter so etwas Unvorstellbares? Bemerkt die Gesellschaft nicht, dass da jemand Hilfe bräuchte? Wie kommt ein Mensch in solch einen Zustand, seine eigenen Kinder zu töten?“ Simon Stone stellt die Oper in einen heutigen Ort, in unsere heutige Gesellschaft.

Der Zuschauer solle das Gefühl bekommen, dass der Geist der Musik in der Inszenierung sei und umgekehrt. Wieviel schon in der Musik vermittelt wird, zeige sich deutlich in den beiden Duetten von Médée und Jason. „Das erste Duett ist voller Kraft, voller Vorwürfe und voller Zorn“, sagt Simon Stone. Cherubini setzt dann eine andere Szene dazwischen, ehe die beiden im zweiten Duett noch einmal miteinander reden. Dieses Duett sei voller Liebe und Leidenschaft. „Es fühlt sich an, als ob sich ein Paar noch einmal auf einen Kaffee trifft, um alles zu bereden. Sehr modern“, sagt Simon Stone. Nur dass das Lebewohl sich hier von liebevoll bis hin zu einem Fluch entwickle.

Der Dirigent der Produktion Thomas Hengelbrock pflichtet dem Regisseur bei: „Die Musik von Cherubini setzt das Gesprochene und das Gemeinte direkt in musikalische Formen um.“ Es gehöre zur schwersten Musik, die man spielen könne, und er sei sehr glücklich, dieses Werk mit den Wiener Philharmonikern erarbeiten zu dürfen. „Wie die Musiker sich in dieses ihnen noch unbekannte Werk hineingestürzt haben, war toll zu beobachten.“

Obwohl die Oper aus den 1790er-Jahren stammt, handele es sich um eine außerordentlich moderne und durchgearbeitete Partitur, sagt Hengelbrock. Die Rolle der Médée sei sehr facettenreich gezeichnet und psychologisch gesehen eine sehr heutige Frauenfigur. „Es ist ein langer Weg von dieser liebenden, aber enttäuschten Frau bis zu hin zu einer Frau, die die Götter anfleht, ihr die Kraft zu geben, ihrem Mann das Schrecklichste antun zu können“, sagt Hengelbrock und erzählt: Als Beethoven gefragt wurde, wer der bedeutendste Komponist seiner Zeit sei, antwortete dieser: „Cherubini.“

Er, so Hengelbrock wollte die Médée dieses außergewöhnlichen Komponisten schon vor zwanzig Jahren machen, „es hat sich allerdings erst jetzt ergeben“. Den Grund dafür, dass das Stück sich nicht im Repertoire durchgesetzt habe, sehe er vor allem in der Gattung der Opéra comique. „Es gibt sehr lange gesprochene Dialoge in dieser Oper. Für diese französischen Alexandriner muss man eine Lösung finden, man kann sie nicht einfach übersetzen in andere Sprachen.“ Man darf gespannt sein, wie das gelöst wurde. Gespielt wird das französische Original, aber erstmalig in einer neuen Fassung, die Cherubinis spätere Eingriffe in die Orchestrierung berücksichtige und dem Großen Festspielhaus gerecht werde.

Bilder: SF / Anne Zeuner

 

 

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