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Nach Italien auf Umweg über Karthago

FESTSPIELE / LES TROYENS

28/08/23 Von der Karthager-Königin Dido könnte sich manch heutiger Staatsmann etwas abschauen. Sie bezahlt, so wird fast einen Akt lang erzählt, das Volk für seine Arbeit gerecht: Denn von dieser Arbeit leben die Menschen und das Gemeinwesen. Wunder, dass ihr das Volk zu Füßen liegt? Das rundum positive Bild wandelt sich aber, wenn private Liebe dazu kommt...

Von Reinhard Kriechbaum

Hektor Berlioz' Oper Les Troyens wurde bei den Festspielen im Jahr 2000 schon mal szenisch produziert. Am Samstag (26.8.) ein Wiederhören in konzertanter Form. So ein Abend braucht zuerst einmal Sitzfleisch, bei vier Stunden Netto-Spielzeit. Es war ja nicht nur mit dem Orchestre Révolutionnaire et Romantique Originalklang angesagt, sondern auch eine Wiedergabe ohne Kürzungen. Der nicht mal in Frankreich sonderlich geliebte, ausufernde Koloss ohne Repertoirtauglichkeit auf der Bühne beansprucht viel Konzentration. Diese aufzubringen lohnt. Gerade die Gemenelage ganz unterschiedlicher Partikel macht den Reiz aus. Es ist Schlachtenlärm drin, schwer bekömmlicher Pathos, aber eben auch sehr viel einschmeichelnde Gefühlsmalerei und starke Affekte. Nur aus der Summe von alledem erschließt sich das Charisma dieses Werks. Berlioz, der literarisch hochgebildete Musik-Hitzkopf, hat romantisches Wesen bis zum Exzess ausgekostet. Der Komponist hat seine Oper nie vollständig auf der Bühne erleben dürfen, aber Les Troyens wurden gleichwohl von der Kollegenschaft neugierig beäugt und aufgenommen. Ohne Les Troyens wäre Wagner ebenso wenig denkbar wie die französische Musik bis Saint-Saens. Gerade das Disparate in der Oper sollte sich als inspirierend für viele erweisen.

Wie berichtet, fand die Salzburger Aufführung ohne Sir John Eliot Gardiner statt. Dass in Salzburg sein Assistent Dinis Sousa dirigierte, war absolut kein Handicap. Man darf annehmen, dass er sowieso sehr viel Vorarbeit mit dem Orchester und dem Monteverdi Choir geleistet hat. Das Publikum ließ den Dirigenten jedenfalls viel Sympathie spüren und dem Jubel für ihn verdientermaßen freien Lauf.

Es ist immer wieder aufschlussreich, gerade Musik aus der Mitte des 19. Jahrhunderts auf Originalinstrumenten zu hören. Damals haben Instrumentenbauer viel herumgeschnipselt. Es wurde mit Materialien, Mensuren, mit Klappen und Schalltrichtern experimentiert. Die Oboen beispielsweise wurden technisch umgekrempelt, und mit den Saxhörnern sogar ein ganz neues Instrument erfunden. Berlioz hat freudig in den plötzlich so reichhaltigen Farbtopf gegriffen. Die Bläser-Besonderheiten kommen besonders gut heraus, wenn die Streicher auf Darmsaiten spielen.

Eine ur-französische Grande Opéra konnte nicht ohne Ballett auskommen. Die Ballettmusiken dieses Werks halten zwar handlungsmäßig den Betrieb enorm auf, aber sie entfalten besonders viele Klang-Originalitäten. Gut also, nicht auf sie zu verzichten.

Inhaltlich geht’s vom Fall Troias bis zu Aeneas' Aufbruch nach Italien. Also von der so eindringlich wie vergeblich zwei Akte lang vor dem Troianischen Pferd warnenden und schließlich mit den anderen Troerinnen Selbstmord begehenden Kassandra bis zur Liebesgeschichte des Aeneas mit Dido, die er zuletzt sitzen lässt (Akte drei bis fünf). Rom zu gründen ist eine hehre, gottgewollte Aufgabe, der man als antiker Held gerne das viel versprechende Privatleben opfert.

Es lag nicht nur an der Sängerin der Kassandra, Alice Coote, dass die auf diese Figur zugeschnittenen ersten beiden Akte nicht wirklich überzeugten. Die Rolle brauchte mehr als scharfe Attacke, und in diesen ersten anderthalb Stunden herrscht, trotz oder wegen der Chor-Betriebsamkeit, viel durchschaubare Effekthascherei. Mit dem Auftritt Didos – hier mit der einprägsam vielschichtig gestaltenden Paula Murrihy – gewinnt die Handlung an Relevanz. Aeneas kommt der tugend- und vorbildhaften Königin der Karthager zu Hilfe gegen einen schwarzafrikanischen Eroberer. Dido und Aeneas, beide Exilanten und vom Schicksal gleichgestimmte Seelen, verlieben sich prompt ineinandert. Ab da verbringt die verliebte Dido die Zeit mit „Jagen und Feiern“, wie einer der Höflinge bekrittelt. Es ist im Ernstfall also auch auf staatslenkende Gutmenschen kein Verlass. Und Aeneas trödelt auch. Doch Ahnen von Kassandra bis Hektor haben wirkungssichere Geister-Auftritte. Also macht sich Aeneas pflichtschuldig davon. Vor ihrem Selbstmord macht ihm die gegenüber göttlicher Vorsehung den Kürzeren ziehende Dido noch eine Szene sondergleichen.

Einprägsame Stimmen zum Originalklang, etwa Beth Taylor als Didos Lebenslust verströmende Schwester Anna, William Thomas als rabenschwarzer Narbal, Laurence Kilsby als unbeschwert-licht in tenoralen Höhen schwelgender Sänger des Iopas/Hylas.

Michael Spyres als Aeneas spielt in den Kassandra-Akten nur eine Nebenrolle, an der Seite Didos wachsen die Herausforderungen, denen er sich an dem Abend differenziert, aber nicht immer mit der nötigen Höhen-Präsenz stellte.

Ein Nukleus ist das große, berührende Liebesduett. Es entspricht der generellen Länge des Werks, dass Dido und Aeneas so schnell nicht zur Sache kommen: „Das ruhende Meer murmelt im Schlaf süßester Harmonien“, aber die Verliebten erzählen sich noch Liebesgeschichten der Antike, von Venus und Anchides über Troilus und Cressida bis Diana und Endymion. Berlioz, sein eigener Textdichter, hat Vergil und Konsorten wohl studiert. Humanistische Bildung schadet nicht, lässt man sich auf Les Troyens ein.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

 

 

 

 

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