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Zeitgenössische Musikgeschichte

FESTSPIELE / DIARIO DEL DOLORE

20/07/22 Fixstarter im Programm der Ouverture Spirituelle nach Markus Hinterhäusers Zuschnitt sind die Klassiker des 20. Jahrhunderts – egal, welcher Schwerpunkt auch immer gerade aktuell ist. Den Italien-Blickwinkel füllen dabei meist Giacinto Scelsi und Luigi Nono meist aus, gelegentlich kommt noch Luigi Dallapiccola dazu.

Von Reinhard Kriechbaum

Luigi Nono (1924-1990) gehörte das Programm am Dienstag (19.7.) spätabends in der Kollegienkirche. Musikkonserve in den ersten fünfzehn Minuten: Ricorda cosa ti hanno fatto in Auschwitz ist ein Stück für Tonband. Es ist 1966 entstanden, also in der Steinzeit elektronischer Musik. Wenn man das heute hört – wir reden nun allein von der technischen Komponente – fühlt man einen Unterschied fast wie zwischen CD und Schellack.

Während heutzutage so gut wie alle Geräusche und Töne computergeneriert werden, gab es damals noch keine Alternativen zur analogen Aufnahme, die dann eben nach (begrenztzen) Möglichkeiten auch weitgehend analog weiterverarbeitet, bearbeitet, verfremdet wurde. Das Mischpult war erfunden, aber Schere und Klebeband waren von Tontechnikern der 1960er Jahre mindestens ebenso nachgefragte Werkzeuge – um zu schnipseln und neu zusammenzufügen.

Ricorda cosa ti hanno fatto in Auschwitz (Vergiss nicht, was sie dir damals in Auschwitz angetan haben) ist eine Gedenk- eine Erinnerungsmusik, die wie aus solchen Schnipseln zusammengefügt wirkt. Ein Patchwork aus Geräuschen und vokalen Klang-Streifen, wobei erstere für die Bedrohung, die Unterdrückung, die rohe Gewalt stehen, wogegen die Vokalisen das gefährdete Humanum symbolisieren.

Quando stanno morendo. Diario polacco n. 2 steht für eine ganz andere Welt. Nicht nur Luigi Nono war ein anderer geworden, hatte sich nun viel dezidierter einer politischen Agenda verschrieben. Auch die elektronische Musik hatte in den frühen 1980er Jahren bereits so manchen Sprung nach vorne hinter sich. Es war nun möglich, Live-Klänge – in diesem Fall vier Frauenstimmen, Bassflöte und Violoncello live auszuwerten, zu verfremden. Nono bediente sich einiger Möglichkeiten, aber er tat's merklich vorsichtig – oder sagen wir besser: Er war nicht technik-, sondern (in dem Sinn ganz Italiener) stimmen-orientiert.

Die Elektronik übertüncht nicht die betörenden Vokalklänge, die sich in teils schriller Sopranlage und durchaus insistierend in die Ohren der Zuhörer bohren. Im Gegensatz zum eröffnenden Stück stehen hier zwar Texte im Hinergrund, aber Nonos Komponiertechnik zielte längst auf das Nicht-Semantische ab. Stimmungs-Expressionismus wollte man in Anspielung an die Malerei sagen, aber das wäre begrifflich zu schwach. Quando stanno morendo (Wenn sie am Sterben sind). Es ist ja eine Klagemusik auch auf einen Kommunismus, der längst nicht mehr den Idealen des italienischen Muster-Kommunisten Luigi Nono entsprach.

Eine Dreiviertelstunde lang kämpft man sich also durch diese Bekenntnismusik, die auch sehr blockartig gebaut wirkt – eine auffallende Parallele zum frühen elektronischen Werk. Vierzig Jahre sind seit der Entstehung vergangen, sechzig Jahre ist die Tonbandkomposition alt. Werke, die ihren Platz in der zeitgenössisdchen Musikgeschichte längst gefunden haben. So wirken sie auch, in der ausgefeilten Interpretation durch vier fulminant intonationssichere Sängerinnen von Cantando Admont, und zwei Instrumentalisten des Klangforum Wien unter der Leitung von Sylvain Cambreling.

Nachzuhören am 8. August um 23.03 in Ö1
Bilder: Salzburger Festspiele /

 

 

 

 

 

 

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