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Es ist nun aus. Gute Nacht, gute Nacht.

FESTSPIELE / GARDINER / JEPHTE

21/07/22 Aus der Kunstgeschichte kennen wir das Bild von Maria, die unter dem Kreuz Jesu zusammenbricht. Der Dolch im Herzen steht für ihr Leiden. Domenico Scarlatti lässt in seinem Stabat Mater dieses Leiden fast beispiellos intensiv nachfühlen.

Von Reinhard Kriechbaum

Domenico Scarlatti war eben viel mehr als der Cembalosonaten-Rassler, als der er vor allem bekannt ist. Sein Stabat Mater, zwischen 1714 und 1719 in Rom entstanden, hat Sir John Eliot Gardiner in den Mittelpunkt seines Konzerts bei der Ouverture spirituelle gestellt. Ein erstaunliches Werk, weil darin in scheinbar konventionellen vierstimmig-polyphonem Chorsatz alle Register des musikalischen Ausdrucks der Zeit gezogen werden. Das ist eine harmonisch unglaublich dicht gewobene, auch mit Dissonanzen ausgereizte Textdeutung, für die Gardiner mit dem Monteverdi Choir und einer Continuo-Gruppe der English Baroque Soloists seinerseits alle Register gezogen hat.

Es sind oft die Kleinigkeiten, die verblüffen. Quis non posset contristari, diese Frage, wer sich denn dem Mit-Trauern mit Maria entziehen könnte – da wir das Wort quis (wer) so insistierend wiederholt, dass sich wirklich jeder Zuhörer betroffen, befragt fühlen muss. Dergleichen Stellen finden sich zuhauf in dem Werk. Beim Textabschnitt Quando corpus morietur (wenn der Leib stirbt) kommt der Pulsschlag wirklich vollends zum Erliegen, aus einer Art Klangfläche entwickelt sich eine Fuge von elementarer Urkraft: Schließlich geht’s vor dem bekräftigenden Amen darum, dass die Seele ins Paradies aufgenommen werde. Eine solche Reise braucht schon Energie, die der 79jährige Sir John Eliot Gardiner und sein Ensemble aufs Effektivste gebündelt haben.

Gardiner, der gegenwärtig mit zu den Doyens der Originalklangbewegung zählt, weiß um alle denkbaren Affekte, im kleinen Finger hat er aber auch den Sinn für Gewichtung und innere Balance. Er weiß, wann's genug ist. Diese stete Ausdruckskontrolle ist vor allem wichtig in Giacomo Carissimis Jephte. Als wegbereitendem Ur-Oratorium ist diesem Stück ein Fixplatz in Musikgeschichtsbüchern sicher. Aber wer führt's schon auf? Auch da ein hoher Level an Emotion, hat Jephta doch gelobt, nach dem Sieg über die Ammoniter den ersten Menschen zu opfern, der ihm über den Weg läuft. Man ahnt es schon, es geht ihm wie Idomeneo. In seinem Fall ist's die Tochter. Laut Altem Testament wurde dieses Opfer tatsächlich vollzogen (was neumodernen Bibelexegeten ziemlich gegen den Strich geht). Wie auch immer: Zwei Monate des Klagens erbittet die Tochter vom Vater, in den Bergen wird ihr Lamento vom zweistimmigen Echo zurückgeworfen – das ist mindestens so einprägsam wie das rabiate Fugite … occumbite in gladio (flieht, fallet unter dem Schwert), mit dem es den Ammonitern in der Schlacht an den Kragen geht.

Graham Neal – ein Jephte, der seiner Verzweiflung nicht wenig Nachdruck verlieh. Charlotte La Thorpe – die Tochter mit tatsächlich jungfräulich-reinem Sopran. Der Part des Erzählers ist auf mehrere Einzel- und Chorstimmen aufgeteilt. Auch da war es spannend zu erleben, wie Gardiner Ausdrucks-Furor entfacht und mit sicherer Hand auch wieder einfängt. Das gilt auch fürs Continuo, farbig, aber nie vordergründig effekthascherisch malend.

Ein ähnliches Schicksal wie Carissimis Jephte haben auch die Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz. Sie werden viel gelobt aber ebenfalls kaum einmal aufgeführt. Anders als Carissimi, der auf Monteverdis Opernstil aufbaute, kommt Schütz erstens von der Textgestaltung in Luther-Tradition her, zweitens von Gabrielis venezianischer Mehrchörigkeit. Sein Dienstgeber hat das eigene Begräbnis pingelig vorbereitet, auf den Sarg biblische Sinn- und Trostsprüche sonder Zahl malen lassen, die er, wenn's denn so weit ist, auch beim Begräbnis gesungen wissen wollte. Eine echte Herausforderung, diesen protestantischen Schlagwörter-Katechismus zu vertonen. Das konnte in der Epoche (wir schreiben 1636) nur Schütz und sonst keiner. Im Wesentlichen sind die Musikalischen Exequien verdichtete Geistliche Konzerte für Solostimmen, aufgelockert mit motettenartigen Einwürfen. Am Ende stehen zwei ausgewachsene doppelchörige Motetten. Die Mitglieder des Monteverdi-Choir, solistisch oder im Cops tätig – eine Klasse für sich.

Nach so viel Intensität eine g'schmackig-pietistische Zugabe von Johann Christoph Bach, eine Sterb-Aria, die mit den Worten Es ist nun aus anhebt und in jeder Strophe in ein versöhnliches Gute Nacht, gute Nacht mündet. Schöner sterben geht fast nicht.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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