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Bestien, die tolle Wut im Herzen

FESTSPIELE / JEANNE D' ARC

25/07/22 Schöffen sind die Schafe. Das Schwein übernimmt den Vorsitz. Denn Tiger und Fuchs haben sich für befangen bzw. krank erklärt. Die Schlange ist pfeifend davon gezischt. Bleibt Porcus, um Jeanne zu richten: „Hoch lebe allezeit das Schwein der Schweine! Es ist würdig, bei unserem erhabenen Gericht den Vorsitz zu übernehmen! Grunz! Grunz.“ Überwältigend – die Begegnung mit Irène Jacob als Jeanne d'Arc.

Von Heidemarie Klabacher

Jeanne d’Arc au bûcher von Arthur Honegger ist viel mehr, als die „Ver-Tonung“ oder gar „Ver-Operung“ eines mittelalterlichen Hexenprozesses. Das Dramatische Oratorium in elf Szenen auf einen Text von Paul Claudel ist die exemplarische Bloßstellung aller Schauprozesse der Geschichte. Zumindest, wenn sie so schnörkellos interpretiert wird, wie am Sonntag (24.7.) bei den Festspielen. Die bizarre Besetzung des Gerichts. Die Verhandlung ein abgekartertes Kartenspiel zwischen der Macht (Politik und Geistlichkeit) und dem Laster (Dummheit, Eitelkeit, Habsucht und Wollust). Das manipulierte geifernde Volk. Das Heulen des Sturmes und der Hunde... Diese Elemente lässt Arthur Honegger als dröhnende, schrille, rhythmisch peitschende Jahrmakrtsmusiken daherkommen. Die Ondes Martenot, ein frühes elektronisches Instument, das grandiose Tonschwebungen, Glissandi und Heuler hervorbringt, hat ihre Sternstunden. Das Heulen des Höllenhundes – aber auch die Sphärenklänge des Himmels sind ihr Bereich. Wie auch das Volk – grandios in der Felsenreitschule der Chor des Bayerischen Rundfunks – schwankt zwischen geifernder Gier nach einem Todesurteil und berührenden Gebeten um Rettung der Pucelle. Eines Mädchens aus dem Volk, einer der ihren.

Unter der Leitung von Maxime Pascal haben das SWR Symphonieorchester, der Chor des Bayerischen Rundfunks, der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor und ein grandios besetztes Solisten-Ensemble Arthur Honeggers ohnehin bis heute nicht verstaubtes Meisterwerk zu einer brandaktuellen Anklage werden lassen.

Die Rolle der Jeanne d’Arc ist nicht mit einer Sängerin, sondern einer Schauspielerin besetzt: Irène Jacob, für Cineasten eine Ikone seit der Filme von Krzysztof Kieslowski, gab mit größter Zurückhaltung und Einfachheit in der Deklamation, unter Verzicht auf beinahe jede Geste, eine Jeanne d'Arc stellvertretend für jedes Opfer eines jeden Schauprozesses unter welchem Regime auch immer. Die Story der Jeanne, die nach dem Ruf Gottes ihren König erfolgreich aufrüttelt, endlich sein geteiltes Land wieder zu vereingen und dafür zum Hexentod verurteilt wird, basiert auf dem abstrakt-symbolistischen Text von Paul Claudel aus 1935. 1945 kam ein Prolog dazu, der die Besetzung Frankreichs durch die Nazis quasi mit-denken lässt.

Die bei aller Opulenz in Besetzung und Orchestrierung von Maxime Pascal transparent und präzise artikulierte Musik Honeggers mit dem Verzicht auf weihevoll ausgewältze Frömmigkeit in den betörend klangsinnlichen „himmlischen“ Passagen, waren der ideale Klanggrund für die Sprech-Solistin und das Gesangsensemble. Der höhnische Herold, Porcus, der Vorsitzende, die geistlichen und die weltlichen Gegner der Jungfrau, aber auch ihr Beistand Bruder Dominik, Tempelsänger oder Mönch, die vom Himmel klingenden Stimmen der beiden Heiligen Marguerite und Catherine – sie alle interagierten weit mehr auf einer Schauspiel- denn auf einer Gesangs-Bühne. Jérôme Kircher als Frère Dominique, Elena Tsallagova als La Vierge, Mélissa Petit als Marguerite. Martina Belli als Catherine, Damien Bigourdan als Porcu, mit Marc Mauillon, Damien Pass und Emilien Diard-Detoeuf: Sie alle überzeugten mit wendiger Eloquenz und virtuoser stimmlicher Präsenz. Eine inhaltlich aufrüttelnde, musikalisch überwältigende Begegnung.

Die konzertante Aufführung von Jeanne d’Arc au bûcher wird am 4. August um 19.30 auf Ö1 gesendet
Bilder: SF / Marco Borelli

 

 

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