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Entschärfte Familienaufstellung

FESTSPIELE / DIE ZAUBERFLÖTE

31/07/22 Das Bürgertum sitzt verbiestert und verspießert am Tisch, ausstaffiert wie um 1900 oder vielleicht immer noch im Mittelwesten, ehe die Mutter in Raserei verfällt und zur Königin der Nacht mutiert: Nach vier Jahren wanderte nun Lydia Steiers Inszenierung der Zauberflöte mit teils neuer Besetzung aus dem Großen Festspielhaus ins Haus für Mozart.

Von Gottfried Franz Kasparek

Das Regieteam hat sein Konzept nicht nur sehr gut dem kleineren Haus angepasst, sondern auch konzentriert und Gewinn bringend daran weiter gearbeitet. Was, wenn die Erinnerung nicht täuscht, zu einer größeren Lebendigkeit des Spiels führt.

Es bleibt bei der während der Ouvertüre präsentierten „Familienaufstellung“: Der über den Dingen stehende Großvater, nun in der unprätentiösen Gestalt von Roland Koch, liest den drei Kindern – also den drei Knaben – als Gute-Nacht-Geschichte die Zauberflöte vor, die alsbald ein virtuelles Eigenleben gewinnt. Dass der Erzähler im ersten Teil immer wieder verstärkt in die Musik, pardon, hineinquatschen muss, stört beträchtlich, verliert sich aber gottlob im zweiten Teil. Lydia Steiers im Programmbuch geäußerte Meinung, für eine gute Dialogregie würde die Probenzeit mit einem internationalen Ensemble nicht reichen, wirkt sonderbar, denn der wesentliche Teil des Ensembles ist deutschsprachig oder bringt viel Erfahrung auf deutschen Bühnen mit. Immerhin dürfen sich Papageno und seine verdoppelte Papagena diesmal direkter äußern und werden prompt vom Publikum mit Lachern bedacht.

Für Bühne, Kostüme und Licht sind wieder Katharina Schlipf, Ursula Kudena und Olaf Freese verantwortlich. Es gibt genug zu sehen im sich häufig drehenden Gründerzeithaus mit verwinkelten Treppen und Dienstbotenwohnungen im Erdgeschoß. Die lustvoll zitierte alte Bühnenmaschinerie setzt sich fort in schwarzweißen Videos von Momme Hinrichs. Die Kriegsgreuel während der Feuer- und Wasserprobe wären allerdings als Bebilderung verstörend genug. Man müsste dazu nicht unbedingt Mozarts geniale Einfachheit samt Flötenzauber nahezu in einer Lärmkulisse versenken. Sarastros Männerclub tritt auf wie eine Truppe amerikanischer Macho-Mafiosi der Dreißigerjahre, andauernd Zigarren pofelnd und Hüte a la Charlie Chaplin tragend. Darunter ist als Dritter Priester auch ein sehr kleiner Mann. Die Machos sind immerhin schon recht divers eingestellt. Was sie nicht daran hindert, sich am Ende einer grauen, brutalen Soldateska zu bedienen. Tamino ist wie gehabt die längste Zeit ein Operetten-Offizier, die rothaarige Königin ist dunkel geworden, ihre Damen sind graue Amazonen geblieben, Pamina erstrahlt in weißer Reinheit. Der Geflügelmetzger Papageno darf von kitschigen Welten voller hübscher, bunter Weibchen träumen und wirkt wie eine verirrte Horváth-Figur. 

Die Erzählungen des Großvaters sind nun besser mit den Restbeständen der Dialoge verzahnt und so läuft der erste Teil abwechslungsreich, bildmächtig und eher vergnüglich ab. Im zweiten Teil tritt die Rahmenhandlung mehr in den Hintergrund. Monostatos wütet als Kopf einer gleich gewandeten, langmähnigen Sklavenhorde. Der Regie ist zu Gute zu halten, dass die berühmt-berüchtigten frauenfeindlichen Textteile, sogar inclusive des Weibertücken-Duetts, als am Theater eben übliche Figurenrede sinnvoll inszeniert werden. Der einzige textliche Eingriff betrifft den erbleichten Monostatos. Statt „.. weil ein Schwarzer“ singt er „... weil ein Diener häßlich ist!“ Warum darf man eigentlich die Diener diskriminieren? Das Ende ist gegenüber 2018 entschärft. Wie der Krieg zwischen der Königin und Sarasto ausgeht, bleibt etwas ungewiss. Die Dame trotzt trotz erhobener Hände. Monostatos kann entweichen. Kriegsherr Sarastro verkündet einen Gewaltfrieden. Das Volk jubelt hinter der Bühne. Die Knaben gehen schlafen. Der verstummte Großvater denkt sich sein Teil.

Im Orchestergraben sitzt ein perfektes Mozart-Orchester der Wiener Philharmoniker. Es gibt ein historisches Glockenspiel, aber diesmal keine orgiastische Betätigung alter Tasteninstrumente, die in einem deutschen Singspiel nicht wirklich was verloren haben. Was Mozart anno 1791 im Freihaustheater am Hammerklavier getan hat, wissen wir nicht, denn er hielt die Überlieferung an die Nachwelt nicht für notwendig. Seine große Kunst der Improvisation ist ohnehin nicht wiederholbar, also beschränkt sich Joana Mallwitz aufs Dirigieren und das kann sie bestens. Die Partitur erklingt schlank, mitunter knackig und straff akzentuiert, aber die Maestra findet auch die nötige Ruhe für die betörend innige Lyrik etwa der Pamina-Arie. So entsteht gemeinsam mit den leuchtkräftig und mitfühlend, dabei durchaus historisch informiert aufspielenden, in den Bläsersoli grandiosen Philharmonikern  ein vitales und zeitloses Klangbild. Was ebenso den von Jörn Hinnerk-Andresen klangschön und pointiert einstudierten Wiener Staatsopernchor betrifft. Joana Mallwitz kann auch mit den Sängerinnen und Sängern mitatmen. Tareq Nazmi, vom Sprecher zum recht jungen und gefährlichen Gentleman Sarastro aufgestiegen, ist ein Gewinn mit überzeugend kerniger Stimmfarbe und profunden Tiefen.

Brenda Rae, eine Königen der Nacht der eher schrillen Art, passt gut zum Rollenbild und serviert gestochen glitzernde Koloraturen. Mauro Peter ist ein Kerl von Tamino mit sensibler, nicht ganz ungefährdeter Tenorlyrik. Die wundersame Sopranistin Regula Mühlemann bezaubert als Pamina in ihrer mädchenhaften Erscheinung und glockenhellen Stimmführung, ihre Arie ist der emotionale Höhepunkt des Abends. Michael Nagl spielt und singt den Papageno mit echt wienerischem Phlegma und wächst in der Szene des versuchten Selbstmord zu dramatischer baritonaler Größe, ehe er sich der selbstgenügsamen Kleinbürgerwelt mit der putzigen Papagena der Maria Nazarova ergibt. Letztere darf das alte Weib nicht spielen, denn dies tut der skurril agierende Stefan Vitu.

Peter Tantsits modelliert mit scharfem Spieltenor und fast artistischer Spiellaune den Monostatos. Die drei Damen Ilse Eerens, Sophie Rennert und Noa Beinart ergeben ein schönstimmiges und couragiertes Amazonentrio, drei patente Wiener Sängerknaben sind fesch und frisch unterwegs. Henning von Schulman zeichnet mit jugendlichem Bassbariton die ambivalente Würde des Sprechers, wobei ihm Simon Bode als zweiter Priester trefflich assistiert. Beide erfreuen auch als Geharnischte. - Das Publikum spendete allgemeinen Jubel, auch dem ohne die privat verhinderte Regisseurin erscheinenden Regieteam. Salzburg hat eine bühnentaugliche und diskutierenswerte Zauberflöte.

Aufführungen bis 27. August im Haus für Mozart – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Sandra Then

 

 

 

 

 

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