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Vernunft - eine gefährderte Spezies

FESTSPIELE / ERÖFFNUNGSREDE / ZEILINGER

27/07/23 Anton Zeilinger, 2022 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet, hielt die Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele. „Es geht um Fragen nach dem Wesen von Wirklichkeit und dem was Realtität ist“, zitierte der Physiker Zeilinger den Intendanten Hinterhäuser. „Und genau zu dem Thema hat die Quantenphysik einiges beizutragen.“

Es gehe um das Konzept der Verschränkung. Dieses löse entweder „unser Bild von Raum und Zeit auf, oder unser Bild der Wirklichkeit“. Oder, oder wie er als Romantiker es hoffe, „beides“. Es gebe hier Zusammenhänge, „die alle Grenzen von Raum und Zeit sprengen“.

„Wie kommt das Neue in die Welt“, fragte der Physik-Nobelpreisträger in seinem Festvortrag. „Das wirklich Neue, das nicht in irgendeiner Weise vorbestimmt ist.“ Zeilinger erinnerte an den jungen Max Planck, dem einst geraten wurde: „Studieren Sie nicht Physik, denn in der Physik ist alles schon bekannt.“ Planck studierte trotzdem Physik und widmete sich der Frage nach der Gestalt glühender Körper. „Er musste annehmen, dass es Ereignisse gibt, die nicht zu erklären sind“, erinnerte Zeilinger.

Er, Zeilinger, wolle die Frage mit in den Raum stellen: „Ist Wahrheit eine Frage der Mehrheit?“ Einstein sei einst nach Berlin berufen worden, obwohl seine Auffassung damals in der Mehrheit der Wissenschaft als Hirngespinst galt. In der Naturwissenschaft könne eine Mehrheit auf der Grundlage des Experiments auf eine neue Wahrheit umstellen. Kreativität in der Kunst sei für ihn eng bezogen auf das Experiment in der Wissenschaft. Ideen, so Zeilinger, hätten aber auch eine hohe Säuglingssterblichkeit. Das Experiment sei in der Wissenschaft der Gradmesser für die Wahrheit. „Die Idee war oft richtig.“ Dennoch: „Die meisten Ideen überleben nicht den ersten Tag ihres Lebens.“ Ultimative Richterin sei die Natur.

Der Nobelpreisträger kam auch auf ganz junge Menschen zu sprechen: „Kinder sind genuin begeistert von Wissenschaft.“ Wichtig sei es daher nicht, „Begeisterung zu wecken, sondern zu erhalten“. Durch mehr persönliche Interaktion und weniger Computereinsatz in den Schule. Da brandete Applaus unter den Besuchern des Festakts in der Felsenreitschule auf. „Mit kurzen Messages kann man nicht den nötigen tiefen Diskurs führen.“ In Covidzeiten sei es sicherlich nötig gewesen, „dieses Medium zu nützen“: „Heute könnte man das etwas zurückfahren. Wie auch die damals sicher notwendig gewesene Bürokratie.“ Wichtig wäre es, so Zeilinger, „in den Schulen auch die Hochbegabten zu „identifizieren und fördern“.

Die Maxime, jederzeit selbst zu denken: „Das ist die Aufklärung“, sagte Zeilinger mit Kant: „Sapere aude.“ Wage zu wissen. Wage weise zu sein: Er habe das Gefühl, „dass Vernunft heute vielleicht eine gefährderte Spezies ist.“ Man dürfe mit Kant immer noch den Mut haben, sich der Vernunft zu bedienen.

Wichtig für die Gesellschaft sei, dass ein über die Vernunft geleiteter breiter Diskurs die Richtung der Gesellschaft präge. „Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist für eine Gesellschaft zuträglich“, so Zeilinger mit einem Seitenblick auf den Philosophen Bertrand Russell. Es gebe kein gesichertes Wissen, aber nur deshalb, weil bessere Konzepte die alten ablösten. Das brauche aber eine aufgeschlossene Haltung zur Wissenschaft. „Ohne die moderne Medizin wäre ein Großteil der hier Anwesenden, mich eingeschlossen, nicht am Leben“, so Zeilinger, der sich bewusst für die Nutzung der Gentechnik für die Verbesserung des Lebens aussprach. Zeilinger warnte auch davor, die Grundlagenforschung finanziell auszuhungern.

In der Kunst nahm sich Zeilinger die Frage nach der Aufführungspraxis, vor. Olivier Messiens „Lichtblitze“ erinnerten ihn daran, dass es in der Welt mehr gebe als das Faktische. Er  plädierte dafür, die Komplexität der Originalwerke zu erhalten, anstatt sie zu dekonstruieren. Die Zerlegung im gegenwärtigen Regietheater führe zur Dominanz des Faktischen über die Kraft des Mystischen in der Kunst.

Ein „kleiner Punkt“, ein großer Sprung zum Schluss: „Die Frage nach der der politischen Ausgrenzung.“ Da gebe es vielleicht Alternativen, so Anton Zeilinger. „Vielleicht sollte man drüber nachdenken, warum extreme populistische Posititionen soviele Anhänger haben.“ Hier gehe es um Emotionalität, „aber vielleicht geht es darum, dass die Menschen gehört werden wollen“: „Vielleicht sollte man sich mit den Menschen wirklich an den Stammtisch setzen.“

Ihn bewege, was Bruckner über sein Te deum gesagt habe, erzählte Zeilinger dann noch: „Das hab ich für Dich geschrieben“, wollte der Komponist nach seinem Tod dem lieben Gott sagen. „Viele Menschen sind heute auf der Suche nach einem Sinn.“ Einen solchen finde man nicht durch Suchen, sondern, durch Nicht-Suchen, zitierte der Nobelpreisträger den Dalei Lama. „In diesem Sinne wünsche ich uns allen Demut Bescheidenheit, Offenheit und Anstand.“

(dpk-klaba)

Bilder: Land Salzburg / Leopold Neumayr

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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