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Gott rettet - aber welcher bloß

FESTSPIELE / NATHAN DER WEISE

29/07/23 Hohe schmale „Lichtwände“ hängen an drei riesigen kreisrunden Schienen von der Decke. Den konzentrischen Kreisen oben entsprechen unten Schienen in der Drehbühne: Die monumentale Raum-Installation ist zugleich dreidimensionales Bild und Gleichnis für den Kern des Dramas, die „Ringparabel“. Ulrich Rasche schuf mit Regie und Bühne, Text und Sound ein Gesamtkunstwerk.

Von Heidemarie Klabacher

Jede Lichtwand ist für sich allein beweglich und drehbar in alle Richtungen. Stehen zwei oder mehrere dieser Elemente parallel zueinander bilden sich Gassen oder Gänge, bauen sich (nur im Kopf, alles bleibt abstrakt) Palastwände oder Stadtmauern auf. Stehen sie einander mit den Schmalseiten gegenüber, öffnen sich – je nach Entfernung – größere oder kleinere Pforten und Portale. Unglaublich der Effekt, tritt eine Person durch eine der „Lichtschranken“ von Alon Cohen. Nebelschwaden, sparsam und gezielt eingesetzt, kräuseln sich malerisch. Sogar Rauch, der von Opferaltären aufsteigt, könnte einem dazu einfallen. Vom technischen Aufwand der dahinterstecken muss, ist nichts zu spüren. Das Monumentale ist federleicht.

Alles ist also in ständiger Bewegung. Auch die Protagonisten, die unaufhörlich mit den oder gegen die rotierenden Bahnen der Drehbühne ankämpfen müssen, wenn sie auch nur für einen Moment innehalten, oder sich tatsächlich bewegen wollen und nicht vom Fleck kommen... Es ist der Kern des Regie- und Raumkonzeptes von Ulrich Rasche, mittels ständiger Bewegung den Eindruck von Ruhe, ja meist von Erstarrung zu bewirken. Von der überwältigenden optischen Wirkung mal ganz zu schweigen.

Die Protagonisten sind also gezwunden, viereinhalb Stunden lang zu gehen. Gegen die Rotation der Bühne und zugleich gegen Forderungen, Erwartungen, Hoffnung und Verleumdung „anzugehen“. Da wird nicht einfach herum gelatscht. Die Geh-Bewegungen folgen subtilen Choreografien und wirken auf mehreren Ebenen. Der Gedanke an die Wanderung des „Ewigen Juden“ drängt sich auf und verweist permanent auf ein antisemittisches Klischee. Die Titelfigur ist ja der einzige Jude im Drama Lessings, während Christen und Muslime jeweils zu mehreren vertreten sind. Am Ende wird der arme Nathan – Toleranz hin, Weisheit her – allein seiner Wege geschickt, nachdem er zuvor mitgeholfen hat, die Verwandtschaft seiner Ziehtochter Recha und ihres Lebensretters, des jungen Tempelherrn, mit dem Sultan nachzuweisen... Den Juden nicht umbringen, ok. In die Gesellschaft/Familie aufnehmen? Never.

Die Dauerbewegung von allen und allem vermittelt also auch – in einer genialischen Umkehrung des Effekts – das Gefühl von Erstarrung. Es geht ja doch nichts weiter mit der „Emanzipation der Juden“, der Völkerverständigung, der Offenheit gegenüber anders Denkenden und Glaubenden. Bis in die Charakterzeichnung hinein wirkt das Bewegungskonzept: Die Christen (Daja, Rechas fromm-fanatische Erzieherin, der blutrünstige radikale Partriarch von Jerusalem und auch der anständige lebenskluge Klosterbruder) treten im Chor auf: Schleichend. Oft mit reptilienhaften unmerklichen Wellenbewegungen des ganzen Körpers unmittelbare Bedrohung ausdrückend. Die Christen haben ja tatsächlich die Kreuzzüge (zu deren Zeit spielt das Drama) vom Zaun gebrochen, mit der Missioniererei, blutig oder unblutig, angefangen und bis heute nicht damit aufgehört. Das kann schon bedrohlich wirken. Die Kostüme von Sara Schwartz sind schlicht und zeitlos, zitieren nichts. Treten „die Christen“ im Kollektiv auf, sieht man dennoch ausgemergelte Asketen im Priestertalar. (Dass radikale Muslime und ultraorthodoxe Juden ungeschoren davon kommen, sei ok. Im Stück haben einfach die Christen das Bummerl.)

Zur Dauer-Bewegung kommt Dauer-Beschallung, die erstaunlicherweise ebenfalls keine Sekunde nervt. Der Komponist Nico van Wersch schuf eine minimal-music-artige Klangkulisse. Diese wird von Carsten Brocker und Christopher Lübeck (Keyboard), Katelyn King sowie Špela Mastnak (Schlagzeug) und Thomsen Merkel (Bass und Synthesizer) von den Seitenbühnen zugespielt – als ebenfalls mit-tragendes Element des Gesamtkonzeptes.

Text gibt es auch. Viel Lessing im Original, sinnvoll gekürzt. Dazu ein paar klug ausgewählte Zitate von Voltaire oder Fichte, echte Magenboxer in ihrer scheinbar toleranten Perfidität. Einmal lässt sich einer „bequatschen“. Geprochen wird „monumental“. Wort für Wort. Buchstabe für Buchstabe. Solistisch oder im Chor. Das meint man in den ersten Minuten keine Minute länger aushalten zu können. Doch alsbald wird das „statuarische“ Sprechtempo ein stimmiger Player im Gesamtkonzept. Die gestelzte Redeweise bekommt mit den Stunden (viereinhalb) immer mehr Tempo- und Klangfacetten. Dass man tatsächlich einmal jedes Wort versteht, ist ein positiver Nebeneffekt. Tatsächlich aber hilft die artifizielle Sprechweise mit, das Stück und die aktuelle Lesart noch stärker ins Abstrakte zu rücken. Verstärkung ist natürlich nötig, die Balance der Sprecher zueinander und zur Musik ist perfekt.

Es rezitieren also: Valery Tscheplanowa als Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem und Julia Windischbauer als Recha, dessen angenommene Tochter. Nathan eine Frau? Der großartigen Tscheplanowa gehören einige der wenigen mit natürlicher menschlicher Wärme in der Stimme gesprochenen Zitate. Da wirkt die reich timbrierte Frauenstimme besonders bewegend. Verletzlichkeit und prekäre Situation werden betont, wenn die Hauptfigur die Zierlichste in der Runde ist. Aber zwei Zentner Mann hätten auch keine Chance.

Nicola Mastroberardino ist ein nachdenklicher Sultan Saladin. Dessen Schwester Sittah ist bei Almut Zilcher in gefählicheren Händen als Textlektüre und die gestrichenen charmanten Schach-Scharmützel der Geschwister nahelegen. Mehmet Ateşçi spielt ganz wunderbar den trotzigen jungen Tempelherrn, der das Stück überhaupt möglich macht, weil er von Saladin erst begnadigt werden musste, um Nathans Tochter aus den Flammen retten zu können. Wer sie alle miteinander rettet? Der liebe Gott? Aber welcher bloß...

Bilder: SF / Monika Rittershaus
Nathan der Weise – neun Aufführungen auf der Perner-Insel bis 12. August – www.salzburgerfestspiele.at

 

 

 

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