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Warum sogn's zu dir Tschusch?

WIEN MUSEUM / DIE NEUE DAUERAUSSTELLUNG (2)

07/12/23 Es beginnt mit Faustkeil und Mammut-Stoßzahn und endet mit Fußgänger-Ampelmännchen und mit der Rückenbox eines Foodora-Radzustellers. In der Dauerausstellung Wien. Meine Geschichte im gestern Mittwoch (6.12.) neu eröffneten Wien Museum wird im Spiegel der Kunst und der Alltagskultur das Leben der Menschen sichtbar gemacht.

Von Reinhard Kriechbaum

Das Schönberg-Porträt von Richard Gerstl hat wahrscheinlich nicht nur jeder Musikfreund gegenwärtig. Raffiniert, es so auszustellen, dfass der Blick geradezu zwangsläufig auf ein längst abmontiertes Straßenschild fällt: Karl Lueger-Ring. Längst ist dieser Abschnitt der Ringstraße ob des Antisemitismus des legendären Wiener Bürgermeisters umbenannt in Universitätsring. Karl Lueger war aggressiver Antisemit, hat aber viel Positives für die Großstadt bewirkt, von der Zweiten Hochquellwasserleitung übers Strom- und Gasnetz bis zur Straßenbahn. Er wusste sich in Szene zu setzen. Kein geringerer als Otto Wagner hat für den patriarchal sich gerierenden Bürgermeister einen Armlehnsessel mit Perlmutt-Intarsien entworfen. Ein Luerger-kritischer Handwerker aus der Wiener Werkstätte hat unbotmäßig an versteckter Stelle gekritzelt: „Ausgeführt in dieser Zeit, wo der Bürgermeister die organisierte Arbeiterschaft von Wien in umflätigster Weise beschimpfte, indem er sie im Landtag Lumpen nannte.“ Drei Schritte weiter: ein Ölporträt von Karl Lueger, im Makart-Stil gekleidet.

Da möchte man sofort in die Rolle eines Ausstellungsführers und Kulturvermittlers schlüpfen. Drei Objekte nur – und was für Geschichten kann man dazu erzählen! Genau das macht den Reiz der neuen, kostenlos zu besichtigenden Dauerausstellung aus. Michaela Kronberger, eine der Kuratorinnen: „Wir wollen die Besucherinnen und Besucher abholen mit Frage, die und heute beschäftigen, die man aber auch an vergangene Epochen stellen kann.“ Man erzähle „nicht eine Geschichte der Objekte, sondern der Menschen“, bekräftigt Matti Bunzl, Direktor des Wien Museums.

Das ist quer durch die Jahrhunderte gelungen, weil man eben nicht nur die Kunst-, Kultur- und Stadtgeschichte, sondern auch die Sozialgeschichte gebührlich berücksichtigt, wie sie sich in Bildern und Dokumenten abbildet. Und wenn die Schau, für ein städtisches Museum nahe liegend, auch Wien. Meine Geschichte heißt, ist sie damit doch von weit überregionalem Interesse, weil sich in der Hauptstadt eben vieles fokussiert, was das Land in all seinen Regionen nicht minder berührt hat (und immer noch berührt).

Nahe liegend, gegenüber eines Bildes von den Napoleonischen Kriegen einen Bildschirm zu positionieren, auf dem man ein Skelett in der Haltung eines das Gewehr tragenden Soldaten marschieren sieht. Drauf eingeblendet: die Mangelkrankheiten, die damals nicht nur Soldaten zu schaffen machten.

System Metternich, Biedermeier: Peter Fendis kleinformatige Bilder vermitteln in ihrer vermeintlichen Putzigkeit durchaus eindringlich die Armut, damals. Selbst Franz Grillparzer, als Beamter in durchaus abgesicherter Position, hat zeitlebens nur ein einziges Zimmer bewohnt. Und wie ging es den Dienstboten und Dienstbotinnen. Von den 100.000 Subalternen um 1900 in Wien waren 97 Prozent weiblich. Viele hatten nicht einmal ein Zimmer, ihr Klappbett wurde abends in einer Ecke in der Wohnung aufgestellt. Damals malte Gustav Klimt das bei weitem wertvollste Bild im Wien Museum, das Bildnis der Emilia Flöge. Auf einer Fotografie aus dem jahr 1909 sehen wir Klimt und Flöge (die beiden waren eine gute Weile liiert) gemeinsam in einem Ruderboot am Attersee. Kunst- und Menschen-geschichte zum Angreifen.

1.700 Objekte, samt und sonders in den vergangenen Jahren von einer kleinen Armee von gut hundert restauratorinnen und Restauratoren aufgemöbelt, sind ausgestellt. Dafür braucht man einen langen Atem – am besten, man nutzt den kostenlosen Eintritt und nimmt sich die Ausstellung häppchenweise vor. Aber die Präsentation ermüdet nicht, eben wegen der assoziativen Anordnung der Exponate. Sie sprechen so unmittelbar für sich, dass es fast gar nicht der wie improvisiert hingelehnt wirkenden Texttafeln bedarf. Das Revolutionsjahr 1848 oder die Kämpfe des sozialdemokratischen Republikanischen Schutzbundes gegen die Dollfuß'sche Vaterländische Front 1934? In beiden Fällen lässt sich gut über gefährdet Demokratie nachdenken.

Als „Stadtfenster“ bezeichnet man im Wien Museum diese Blicke „aus der Vergangenheit in die Gegenwart“, mit denen nicht nur junge Museumsgäste angesprochen werden. Eine Gänsehaut bekommt man angesichts dreier Bücher mit Einschusslöchern von Gewehrkugeln aus einem Arbeiterheim in Ottakring. Da war zeitlich der „Tatort Wien“ beim Anschluss Österreichs nicht mehr weit weg. Auch ein Bild mit Grusel-Faktor: das Bild „Abtransport in ein Vernichtungslager“ von der später prominent gewordenen KZ-Überlebenden Ceja Stojka.

Spannungen über die Zeitläufte: „Wien wird wieder Weltstadt“ ließ die SPÖ 1955 plakatieren. So weit war's dann mit der Offenheit gegenüber Fremden nicht her: 1973 und 1994 kam das berühmte Plakat „I haaß Kolartic, du haaßt Kolaric. Warum sogn's zu dir Tschusch“ zum Einsatz. Und gleich daneben ein Foto von einem an einer Geschäftstür klebenden Zettel in kyrillischer und lateinischer Schrift: „Für jugoslawische Gastarbeiter ist ab 29.II.1970 der Eintritt verboten!“ Ein leichtes, da Bezüge zur Gegenwart herzustellen.

Zur Ausstellung ist ein Buch im Pocket-Format erschienen: Mixed Doppel, 40+40 Objekte aus dem Wien Museum, zu haben für wohlfeile 15 Euro. Man sollte sich diese Zusammenstellung von Highlights nicht entgehen lassen. Und das Ausborgen von Audioguides war gestern: Für Wien. Meine Geschichte kann man den digitalen Guide kostenlos aufs Handy holen, auch auf Englisch, Französisch, Türkisch, in den BHS-Sprachen und in Gebärdensprache.

Die Schausammlung des Wien Museums ist kostenlos zugänglich, zumindest einige Wochen lang empfiehlt sich die Buchung eines Zeit-Slots (im Viertelstunden-Takt) – Der digitale Guide zum Downloadwww.wienmuseum.at
Bilder: dpk-krie
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