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Tanz die Oper

LANDESTHEATER / NUSSKNACKER / JOLANTHE

17/04/22 Heute liebt die ganze Welt das Ballett Der Nussknacker, während der Operneinakter Jolanthe vergessen ist und fremd anmutet. Eine gute Idee, die beiden Tschaikowsky-Werke zu verschränken. – Ein rauschender Erfolg für das Landestheater.

Von Erhard Petzel

Den beiden Geschichten liegt eine gemeinsame Dynamik zu Grunde, bei beiden geht es um ein Mädchen im Aufbruch aus dem familiären Schutzkokon ins Reich der sexuellen Erweckung und Selbstbestimmung. Ist es bei E.T.A. Hoffmann ein bürgerliches Kind im fantastischen Abenteuermodus nach den Ereignissen des Weihnachtsfestes, versetzt Henrik Hertz in seinem Einakter König Renés Tochter 1845 die blinde Jolanthe in das Paradies eines Schlosses mit herrlichem Garten. Beide Texte lässt Tschaikowsky von seinem Bruder Modest umarbeiten, wobei er sich am Nussknacker abquält, während Jolanthe seine Herzenssache ist.

Die Uraufführung beider Werke erfolgte im Auftrag des Kaiserlichen Theaters St. Petersburg anno 1892, allerdings nacheinander. Die Entscheidung des Landestheaters, die beiden Geschichten zu verschränken, ist sowohl inhaltlich als auch dramaturgisch konsistent und führte bei der Premiere am Samstag (16.4.) zu einem fulminanten Erfolg.

Die Wirkungsgeschichte dreht oft die Verhältnisse. Heute liebt die ganze Welt den Nussknacker, während die geschraubte Handlung in Jolanthe fremd anmutet. Da tut es ihr gut – wenn sie schon den Erzählrahmen bietet – durch das Ballett erfrischt und auf weitere Ebenen gehoben zu werden, während es dem Ballett nicht schadet, sich inhaltlich der Opernhandlung unterzuordnen und eine Art Beziehungskommentar abzugeben.

Thomas Mika erschafft sich mit Bühnenraum, Kostümen und Inszenierung sein schlüssiges und in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk. Ballettdirektor Reginaldo Oliveira und Thomas Rufin choreografieren mit dem hoch motivierten Ballettensemble recht frei organisch ineinander greifende Figuren. All das passt ebenso gut in die Fantasie des Mädchens Marie aus belebtem Spielzeug, wie in die Vorstellungswelt der blinden Prinzessin Jolanthe zum königlichen Haushalt. Besonders reizvoll die Minimäuschen der SIBA Ballettschule beim Kampf des wunderbar windigen Mäusekönigs (Ben van Beelen) mit dem herrlich hölzernen Nussknacker (Kammertänzer Flavio Salamanka).

Dass Columbina (Chigusa Fujiyoshi) und Harlekin das Ballettgeschehen dominieren und Marie (Larissa Mota) und Mère Gigogne (Sveva Gaudenzi) fast verdrängen, ist typisch für die Bedeutung dieser Ebene, für die auch die Bühne aufgebrochen wird mit übergroßem Weihnachtsklunker und vereinzeltem Mobiliar in Gold. Wobei der Riesenstuhl seine weiße Entsprechung auf der Realitätsebene hat. Denn in Weiß und Grau mit Schwarzeinsprengseln ist alles gehalten, auch die riesigen Scherenschnitt-Blumen (deren Schattenwurf an Platons Höhlengleichnis denken lassen).

Die Welt wird auch nach Jolanthes Heilung leider nicht in farbigem Licht erstrahlen. Vielleicht eine unterschwellige Bestätigung ihres Verdachts, mit dem neuem Sehsinn nicht unbedingt ein erfüllteres Leben zu führen. Das Einbeziehen der Liebenden Jolanthe und Vaudémont in die meist buffoeske Welt des Tanzes ist wie ein Kunstgriff auf den (immer defizitär bleiben müssenden) Versucht, die Sichtweise eines/einer anderen – noch dazu mit „Behinderung“ – einzuehmen.

Überzeugend die musikalische Leistung. Tatev Baroyan besticht als introvertiert innige, in jugendlicher Krise befindliche wie in heißer Liebe entflammte Jolanthe. George Humphreys’ Robert ist als Charakter und Freund so edel wie mit seinem sonoren Stimmorgan. Luke Sinclair ließ sich wegen überstandener Erkrankung entschuldigen, meisterte aber Vaudémonts tenorale Höhen und Gefühlsverbreiterungen überzeugend. Die Hofdamen umsorgten die Prinzessin in teilnehmender Empathie, König René (Per Bach Nissen) in altväterlicher Würde, Eigensinnigkeit und List, dem Arzt Ibn-Hakia (Samuel Pantcheff) letztlich vertrauend.

Alle Stimmen haben den Abend zu einem stimmigen Ganzen geformt, unterfüttert und selten übertönt vom Mozarteumorchester unter Leslie Suganandarajah. Dieses zeigte, was breite romantische Energieströme mit exaltierender Tiefe und perlenden Höhen zu Anregung und Ausbruch von Emotion vermögen. Das Publikum zeigte sich elektrisiert und zu regem Zwischenapplaus motiviert, um am Schluss zu donnern und sich aus dem beschaulichen Sitzplüsch zu erheben. Pointe beim Schlussapplaus: Jolanthe gibt die rote Rose.

Jolanthe/Der Nussknacker – weitere Aufführungen im Landestheater bis 31. Mai – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT / Anna-Maria Löffelberger

 

 

 

 

 

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