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All diese Typen kommen einem sehr bekannt vor

SCHAUSPIELHAUS / DIE DREIGROSCHENOPER

01/05/23 Solange die Machtstrukturen vieler Länder dieser Welt den Vergleich mit der Mafia und anderen Gaunerbanden provozieren, wird Die Dreigroschenoper, das Zeitstück von 1928, zeitlos bleiben. Dazu braucht man an Bertolt Brechts und Kurt Weills „Stück mit Musik“ gar nicht viel zu aktualisieren.

Von Gottfried Franz Kasparek

Schön, dass im informativen Programmheft nicht nur auf die sogar in diesem Stück teilweise vorhandene Romantisierung der Prostitution hingewiesen wird, sondern auch die Co-Autorin und Lektorin des Textes, Elisabeth Hauptmann, angemessen gewürdigt wird. Die ständige Mitarbeiterin und zeitweilige Geliebte Brechts hat sich das verdient. Und hat übrigens genug gelitten unter der polyamourösen Veranlagung ihres Idols, der sich in der Figur des Verbrecherbosses Mackie Messer in seinem berühmtesten Stück wohl doch auch selbst gespiegelt hat. Mr. Macheath treibt es ja nicht nur mit zwei „höheren Töchtern“ der mehr oder weniger bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch mit mindestens vier Damen des käuflichen Gewerbes. Und das Duett der Spelunken-Jenny mit ihrem treulosen Liebhaber über „das Bordell, wo unser Haushalt war“ ist ganz großes Musiktheater, irrlichternd zwischen tiefen Gefühlen, triebhaftem Sex und beinhartem Geschäft.

Manches im Text mag heute etwas altmodisch wirken, aber die Musik betrifft dies keinen Takt lang. Kurt Weill ist damit wirklich eine neue, zwingende Form der musikalischen Komödie gelungen, hinreißend frech, melodisch genial, mit beißender Satire, trockener Ironie und manchmal ein bisschen echter Emotion. Letztere verschont ja auch Gangster und Huren nicht.

Der Posaunist und Bassist Gernot Haslauer bringt dieses Meisterstück mit seiner siebenköpfigen, patenten Band aus lauter guten Salzburger Bekannten ganz famos und stilgerecht zum Klingen. Da die singenden Leute auf der Bühne gottlob nicht mit Mikroports verunstaltet sind, sondern schöne alte Stehmikrophone verwenden, wirkt das Ganze oft wie eine echte Show aus den „tollen Zwanzigern“, allerdings eine, deren Produzenten mehr auf „Neue Sachlichkeit“ als auf Revuepep setzten. An der Textdeutlichkeit beim Singen könnte in einigen Fällen noch gearbeitete werden.

Das Einheitsbühnenbild ist eine Art farbenfrohes Lager alter Möbel. Zum Glück ist es nicht überladen und die Kostüme mit ihren Mischungen zwischen Chic und Bettel-Verkleidung passen perfekt – für die Ausstattung ist Ragna Heiny zu loben.

Der Schweizer Regisseur und Hausdramaturg Jérôme Junod hat eine gute Mitte zwischen Brechts „epischem Theater“ und lebenspraller Komödie gefunden. Mitunter, so im langwierigen Finale, könnte ein wenig mehr Tempo a la Feydeau und Offenbach nicht schaden. Dem erhobenen Zeigefinger des Lehrtheaters entkommt man nicht immer. Andererseits ist es schön, wieder einmal einen großen Theatertext unverfälscht, original und ziemlich komplett zu erleben.

Das Ensemble schlägt sich mehr als wacker. Der bei der Premiere als stimmlich indisponiert angesagte, tapfer durchhaltende Olaf Salzer ist ein wendiger Bettlermanager Peachum. Und ja, leider, sein Job ist nicht ausgestorben, ebenso wenig wie die Armut der von ihm ausgebeuteten Arbeitslosen und die Lady-Attitüde seiner meist beschwipsten, doch eloquenten Gattin, der Tanja Kuntze witziges Profil verleiht, das einem aus der „Yellow Press“-Gesellschaft von heute durchaus vertraut vorkommt. Leid tun kann einem Tochter Polly, von Johanna Egger in anrührender Komik als verirrter, doch lernfähiger Teenager dargestellt. Theo Helm, als Macheath zunächst ein recht lautstark bramarbisierender Halbwelt-Gentleman, gewinnt im Lauf des Abends sensiblere Töne und wächst im Gefängnis zu geradezu tragischer Größe.

Petra Staduan als Jenny hat letztere von Anfang an, denn sie eröffnet und beendet den Abend mit den populären Moritaten von „Mackie Messer“ und von denen im Dunkeln, die man nicht sieht. Und sie ist als attraktive, geheimnisvoll schöne Dirne und Rotlicht-Unternehmerin, verwoben in echte Zuneigungen und verschlagenen Geschäftssinn, auch sängerisch überzeugend und das schauspielerische Ereignis des Abends. Marcus Marotte sitzt als korrupter, sprachlich souveräner Polizeichef Tiger Brown halbblind im Rollstuhl und entpuppt sich am Ende als betulich beweglicher Herold, der die Begnadigung des Verbrechers Mackie durch den König überbringt, der ja im Finale zur Krönung schreitet.

Magdalena Oettl als Browns herzzerreißend naives Töchterlein Lucy, Gauner Walter und lethargische Hure ist in allen ihrer Rollen präsent, ebenso wie Johanna Klaushofer in den burschikosen Hosenrollen des Bettler-Faktotums Filch und des schlaksig-ungeschickten Nachwuchsgangsters Jakob, Simon Jaritz-Rudle als kurios sympathisch wirkender Münzmatthias und sentimentale Trans-Hure sowie Florian Stohr als Polizeioffizier, bestechlich wie sein Herr und als Figur das hagere Gegenbild zu diesem, und als herrlich skurriler Sägerobert. Wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, am Rande des Wiener Praters aufgewachsen und in die Schule gegangen ist, dem kommen alle diese Typen übrigens sehr bekannt vor. Und die mehr als drei Stunden im Schauspielhaus vergehen alles in allem erhellend und unterhaltsam.

Aufführungen bis 24. Juni – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese

 

 

 

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