asdf
 

Schlachtschwein oder Opfertier?

FESTSPIELE / ELEKTRA

09/08/10 Wir haben es geahnt: Hinter dem schweren Eisentor, das den windschiefen Palast-Innenhof nach hinten abschließt, befindet sich die sorgsam weiß gekachelte Hof-Schlachtkammer. Ganz am Schluss geht dieses Tor erst auf, und da hängt die ermordete Klytämnestra mit dem Kopf nach unten am mächtigen Fleischhaken. Schlachtschwein oder Opfertier? Das mag man nach individueller Laune beurteilen.

Von Reinhard Kriechbaum

altJetzt ist die Runde der Regie-Oldies also komplett. Nach Peter Stein (Ödipus auf Kolonos, Sophokles), Dieter Dorn (Orfeo ed Euridice, Gluck) nun Richard Strauss' "Elektra" im szenischen Arrangement von Nikolaus Lehnhoff. Das Premieren-Volk tobte am Sonntag (8.8.) im Großen Festspielhaus vor Begeisterung. Jubel wie selten brandete auf, nachdem Dirigent Daniele Gatti die letzten Akkorde hatte hinausknallen lassen.

Womit wir gleich bei den wichtigsten Leuten dieses Abends wären: Die Wiener Philharmoniker lassen einen Strauss hören, wie er in Summe wienerisch-süffiger gar nicht sein könnte. Nicht der expressiven "Salome" steht die "Elektra" in Daniele Gattis und der Wiener Philharmoniker Deutung nahe, sondern eher den späteren Opern von Richard Strauss. Trefflich streiten lässt sich nun darüber, ob Daniele Gatti (der - als einziger - im Jubel auch den einen oder anderen Buhruf hat einstecken müssen) über all dem üppig sich aufplusternden melodischen Charme der Partitur nicht doch härtere Zwischentöne schuldig geblieben ist. Aber gewiss: So griffig, charmant und geschmeidig wissen nur die altWiener Philharmoniker Strauss zu musizieren, auch auf hohem dynamischen Pegel. Sie wirken geradezu über-engagiert, eben weil Gatti genau diesen Tonfall von ihnen haben will. Das hat Stil.

Für die Titelrolle hatte man die Schwedin Iréne Theorin zum Rollendebüt nach Salzburg geladen. Der sängerische Befund widerspricht der Jubelreaktion der Premierengäste. Wenn sie aufdrehen darf, wenn Dramatik gefordert ist, dann ist sie voll da. Im lyrischen Bereich allerdings wirkt die Stimme wenig tragfähig und auch wenig charakteristisch. Dass hat wenig mit dem Orchestervolumen und auch nicht mit dem mausgrauen Outfit der auf Zombie geschminkten Elektra zu tun. Es fehlt Iréne Theorin an stimmlichem Charisma und ganz erheblich an Textverständlichkeit.

Das fällt doppelt auf, weil die Gegenspieler überaus stark sind. Waltraud Meier ist eine Klytämnestra ohne die Züge einer Erzschurkin. Man glaubt ihr aufs deutlich gesungene Wort, dass sie an einer Aufarbeitung der misslichen Seelenlage - sie hat sich am Gattenmord schuldig gemacht, den die Tochter Elektra gesühnt wissen will - ehrlich interessiert wäre. Das ist ein plausibles Psychogramm. Die niederländische Sopranistin Eva-Maria Westbroek dreht als Chrysothemis mächtig auf: Sie steht für Befreiung von Altlasten und für Vergessen, sie will Kinder haben und leben, mit wem und altwie auch immer - der Gegensatz eben zu ihrer Schwester Elektra, die verbiestert die Aufarbeitung der Vergangenheit einklagt.

Wenn Orest auftaucht, dann ist die Sache ohnedies gelaufen: "Ich muss hier warten!", Widerspruch zwecklos. René Pape tritt mit sonorer Stimm-Macht an zur tatkräftigen Vergangenheitsbereinigung, zum Mord an Klytämnestra und ihrem Mann Aegisth (Robert Gambill).

Als ungeschickt daherstolpernden Dandy lässt Regisseur Nikolaus Lehnhoff diesen Aegisth auftreten. Im Licht beim Schlussapplaus sieht man, dass er einen Hitler-Schnauzbart aufgeklebt hat. Auch die Figuren "draußen" - Klytämnestra und ihre beiden Begleiterinnen - passen in ihren Kostümen in die fragliche Zeit. Was genau Nikolaus Lehnhoff aber damit sagen will, bleibt nebulos.

Es ist alles auf Gedanken-Raum hin gerichtet: Das windschiefe Gemäuer (Bühne: Raimund Bauer) wird von vielen Fenster- und Türöffnungen durchbrochen, auch nach unten gibt es immer offene Wege, die von altMägden und der welt-zugewandten Chrysothemis auch emsig genutzt werden. Allein die untote Elektra kommt da nicht raus, sie steht wie der sprichwörtliche Ochs vor dem Tor - eben vor jenem Metalltor, das eines Bunkers würdig wäre. Der Bunker birgt (oder in ihm birgt sich) die Altlast der Geschichte.

Einigermaßen plausibel gezeichnet ist diese Elektra als Gedanken-Produkt: jene, die Erinnerung einmahnt und daraus ihr Ich-Gefühl bezieht. Wenn Orest auftaucht, stürzt sie dem Bruder nach dem Wiedererkennen keineswegs in die Arme, sondern drückt sich irritiert an die Hausmauer. Ihre Aufgabe ist zu Ende, nachdem sich einer gefunden hat, der Ernst macht mit dem Rachewerk. Sie könne "sich nicht heben" singt sie zum Schluss, wenn Tanz gefragt ist. Sage keiner, Nikolaus Lehnhoff habe den Text nicht ganz genau gelesen und pingelig umgesetzt. Tatsächlich schleppt sich Elektra nur mehr mühsam über die Bühne. Und sie wird auch keinen Tanzschritt mehr tun: Stattdessen tauchen schwarze Gespensterwesen auf (die aussehen, als hätte man auch Jan Fabre Co-Regie führen lassen), mit Federflügeln. Sind das Dämonen, die nun ausfahren, nachdem der Mord an Agamemnon gesühnt ist? Oder setzen sie sich, einem Fluch gleich, erst recht fest im Palast von Theben?

Auch das zu deuten, bleibt Sache der Zuschauer. Nikolaus Lehnhoff hat, assistiert von Daniel Dooner, schon etwas umgesetzt von Hofmannsthals Libretto. Wir sind ja in der Blütezeit der Freud'schen Psychoanalyse und Traumdeutung. Aber die Geschichte wirkt nicht fertig erzählt.

Weitere Aufführungen am 12., 16., 20., 23. und 28. August - Die Premieren-Aufzeichnung wir am 21. August um 19.30 Uhr im Programm Ö1 gesendet. - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Hermann und Clärchen Baus

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014