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Vaterländer und Sternenfall

FESTSPIELE / CLEVELAND ORCHESTRA, FRANZ WELSER-MÖST (2)

30/08/12 Am zweiten Abend seines Gastspiels – am Mittwoch (29.8.) im Großen Festspielhaus – steigerten sich Franz Welser-Möst und das Cleveland Orchestra noch einmal und boten ein Klangerlebnis nicht nur der berauschenden Art.

Von Gottfried Franz Kasparek

Zu Beginn folgte das Ende von Bed?ich Smetanas „Mein Vaterland“. Schon in der spröden Hussitenlegende „Tábor“ verblüffte die dramatische Stringenz, mit der Welser-Möst das Klanggeschehen ausbreitete – er ist halt doch ein fabelhafter Theaterkapellmeister. Packend türmten sich dann die Steigerungen am heiligen Berg „Blanik“ auf, erlesen waren die fein schattierten, teilweise sogar gleichsam mit Inbrunst „gesungenen“ Holzbläsersoli, mit gesundem Pathos prunkend die Schlussapotheose. Das Orchester machte seinem Ruf, eines der europäischsten unter den amerikanischen zu sein, bei aller Soundgewalt alle Ehre.

Leider wurde die Dramaturgie dieses klug programmierten zweitägigen Gastspiels – Musik und Politik, Musik des Ostens -  am zweiten Abend zerstört. Aber es ist sicher fast unmöglich, für den erkrankten Krystian Zimerman einen Ersatz zu finden, wenn es um das ihm gewidmete Klavierkonzert von Lutoslawski geht. Schade, denn Zimerman hatte dieses Werk 1899 in Salzburg auch uraufgeführt. Die Clevelander haben aber ein neues Stück im Reisegepäck, bei dem die „Tinte noch nass“ ist. Matthias Pintschers Werk „Chute d’Étoiles, Hommage à Anselm Kiefer für zwei Trompeten und Orchester“ wurde erst am 25. August beim Festival in Luzern aus der Taufe gehoben. Kiefers Pariser Installation zum „Sternenfall“ inspirierte den Komponisten. „Wir werden geboren und wissen nicht, warum“, schreibt Kiefer, „und wenn man sich nicht festhält, wenn der Kosmos einem nicht hilft, ist man verloren. Wir kommen von dort! Wir sind mit der ersten Explosion geboren. Wir bestehen aus Elementen des Kosmos. Und so tragen wir das unendlich Große genauso in uns wie das unendlich Kleine. Es ist der Mikrokosmos und der Makrokosmos. Darein versetze ich mich und dann versuche ich das, was ich fühle, mit meinen Mitteln auszudrücken."

Pintscher ist dieser Thematik gefolgt, ja setzt sie penibel in Töne um: „Das Material wird gleichsam in Blei geschmolzen: Das Einsetzen der Solotrompeten ist wie das Öffnen von zwei Ventilen eines riesigen Instrumentes aus Blei, das sich Luft verschafft, in sehr ziselierter und konziser Form.“ Apokalyptischer Sternenfall und tastende Wiederauferstehung lassen entfernt an bekannte musikalische „Planeten“ denken, verraten meisterhafte Beherrschung des Handwerks und machen, noch dazu mit schlüssigen Worten eingeleitet von Franz Welser-Möst, beim Publikum Eindruck. Der Komponist durfte jedenfalls Bravi entgegennehmen. Wenn Neue Musik ein populäres Programm hat, wenn ein wenig „Star Wars“ mitspielt, wenn die beiden virtuosen Solisten  - es waren Michael Sachs und Jack Sutte – in Bereiche des Free Jazz vorstoßen, dann kommen auch schräge Töne an.

Am Ende des Konzerts musste man sich im Geiste anschnallen, denn die beißende Satire des Finales von Dmitri Schostakowitschs „Sechster“ tobte in unglaublicher rhythmischer Brillanz daher. Fabelhaft, wie Dirigent und Orchester hier bis ins Extrem gehen, ohne jemals Zügel, Sicherheit und Akzentuierung zu verlieren. Vorher, im ausgedehnten Largo, hatten wiederum die Bläser viel Schwermütiges zu sagen. Welser-Möst hatte den weit atmenden Bogen gefunden, den diese Musik braucht. Klang gewordenes Leiden des Komponisten an seinem Vaterland. Musik, die abgrundtiefe Trauer mit scharfer Satire, melodische Schönheit mit archaischer Tanzlust genial verbindet.

Danach brauchte es, trotz anhaltenden Jubels, wirklich keine Zugabe. Doch wie schön, dass am Heimweg, unter den Dombögen, ein Straßenmusikant den berühmten Walzer aus der „Jazzsuite“ am Akkordeon gespielt hat.

Bilder: SF / Wolfgang Lienbacher

 

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