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… als ob man Ihnen ein Bein absäge …

MOZARTWOCHE 2014 / ORFEO ED EURIDICE

10/01/14 Der sechsjährige Mozart und 48jährige Gluck haben sich anno 1762 in Wien genau um einen Tag verfehlt. Dennoch gehören Gluck und Mozart eng zusammen. Musikwissenschaftler schrieben und schreiben regalmeterweise Bücher über das Verhältnis der beiden Komponisten. Bei der Mozartwoche 2014 begegnen sie sich in ihren Werken.

Von Heidemarie Klabacher

409Als die Mozarts am 6. Oktober 1762 – nach einer ärgerlichen Verzögerung in Passau – auf Mozarts erster „Wunderkind-Reise“ endlich in Wien ankommen waren, hatten sie um Haaresbreite ein Schlüsselereignis der Musikgeschichte verpasst. „Am Vortag war ‚Orfeo ed Euridice’ im Burgtheater uraufgeführt worden“, erzählt Marc Minkowski, der Künstlerische Leiter der Mozartwoche im Almanach. „Die Beziehung der beiden größten Opernkomponisten ihrer Zeit ist von verfehlten Zusammentreffen geprägt.“ Leopold Mozart hat in dem berühmten Opernreformer ohnehin nur einen lästigen Konkurrenten seines Sohnes gesehen, Wolfgang dagegen sollte diesem später sogar sehr zugeneigt sein.

„Jedenfalls ist es unmöglich, hinter Mozarts ‚Entführung aus dem Serail’ nicht Glucks ‚Les Pèlerins de la Mecque’ zu hören oder bei ‚Idomeneo’ nicht an Gluck zu denken“, sagt Marc Minkowski. Er dirigiere seit fünfundzwanzig Jahren Werke beider Komponisten, ohne sich die Frage einer Wertung oder einer Vorrangstellung auch nur einmal gestellt zu haben. „Beide ergänzen sich so vorzüglich, dass mir das gerade angebrochene Gluck-Jahr einfach als ideale Gelegenheit erschien, um ein Missgeschick der Geschichte wieder gutzumachen: Das verpasste Treffen im Oktober 1762 kann nun zu einer tatsächlichen Begegnung werden – mit ‚Orfeo ed Euridice’ in der Geburtsstadt Mozarts – noch dazu bei der Mozartwoche.“

410Stichwort „Gluck-Jahr“. „Christoph Willibald Gluck, 1714 bis 1787, der heuer also seinen 300. Geburtstag gefeiert hätte, hat nicht nur Mozart, sondern die Komponisten seiner ganzen Epoche erheblich beeinflusst“, sagt Matthias Schulz, der Geschäftsführer und Künstlerische Leiter der Stiftung Mozarteum. „Daher äußern wir uns auch szenisch und bringen seine Oper ‚Orfeo ed Euridice’ als echte azione teatrale per musica auf die Bühne: intim, aber kraftvoll.“ Aber auch im Konzert setze sich die Beschäftigung mit Gluck fort: „Bei einem großen Gluck-Mozart-Abend mit Sonya Yoncheva, Rolando Villazón und Marc Minkowski sowie mit Auszügen aus ‚La clemenza di Tito’ in den Vertonungen von Gluck und Mozart in einem Konzert mit der Camerata Salzburg unter Louis Langrée.“

411Nun aber nochmals zurück zum wohl tragischsten Liebespaar der Operngeschichte: „Eine Liebe, die der Macht des Todes trotzt, ein göttlich-menschlicher Musiker, der mit der Zauberkraft seines Gesanges die Mächte der Finsternis überwindet, alle Grenzen überschreitet und seine Liebe zurückgewinnt, um sie sogleich erneut an den Tod zu verlieren: Der Orpheus-Mythos, eine der berühmtesten Überlieferungen der Antike, berührt durch die personifizierte Macht der Liebe und der Musik wie durch Orpheus’ zutiefst menschliches Scheitern an sich selbst, und hat deshalb Künstlerinnen und Künstler aller Zeiten zu immer wieder neuen Adaptationen inspiriert.“ Die Musikwissenschaftlerin Irene Brandenburg bringt es gleich im ersten Absatz ihres Almanachtextes auf den Punkt: Der Orpheus-Mythos verzaubert. (Auch wenn der blutige Tod des Sängers, der von den verzückten Frauen zerfleischt wird, zu den grausigeren antiken Geschichten gehört. Aber das hat Gluck ja nicht mehr vertont... Wäre vielleicht was für einen Komponisten der Gegenwart.) Von allen „Adaptationen“ des Mythos verzaubert jedenfalls am stärksten Christoph Willibald Glucks Oper ‚Orfeo ed Euridice’. Natürlich in der „Wiener Fassung“ mit einem Countertenor oder auch gerne mit Bernarda Fink als Orfeo.

412Interessant jedenfalls, dass die Oper in ihrer ursprünglichen Wiener Form zu Glucks Lebzeiten und weit darüber hinaus nie wieder aufgeführt worden ist. „Der Komponist selbst hat die Oper mehrfach bearbeitet“, schreibt Irene Brandenburg. So brachte 1774 Gluck in Paris eine französische Bearbeitung heraus: In der französischen Oper wurde generell auf Kastraten verzichtet, daher musste Gluck die Altpartie des Orpheus zu einer Tenorrolle umschreiben, „für die der als ‚Kehlkopfvirtuose’ bekannte Sänger Joseph Legros vorgesehen war“. Und mit diesem dürfte der Komponist gar nicht zufrieden gewesen sein. Der Almanach der Mozartwoche zitiert aus den Lebenserinnerungen des Malers Johann Christian von Mannlich: „Man wiederholte die erste Szene, wo sich der von Schmerz gebeugte Orpheus während des herrlichen, die Bestattung Eurydikes begleitenden Chorgesanges erhebt und in den Schrei verzweiflungsvoller Klage ausbricht: ,Eurydike!‘, um schon gleich darauf seinem dumpfen Brüten wieder anheimzufallen. Gluck war mit Le Gros nicht zufrieden; er ließ ihn des öfteren diesen Aufschrei wiederholen, in dem immer etwas wie Gesang lag. Schließlich verlor er die Geduld und sagte ärgerlich zu ihm: ,Mein Herr, das ist unbegreiflich, Sie schreien immer, wenn Sie singen sollen. Und handelt es sich ein einziges Mal darum, zu schreien, dann bringen sie es nicht zustande. Denken Sie in diesem Augenblicke weder an die Musik noch an den Chor, der singt, sondern schreien Sie ganz einfach so schmerzvoll, als ob man Ihnen ein Bein absäge, und wenn Sie das können, dann gestalten sie diesen Schmerz innerlich, moralisch und von Herzen kommend!‘“

413Das wird Ivan Alexandre, der Regisseur „Mozartwochen-Orfeo 2014“, seinem Hauptdarsteller nicht zweimal sagen müssen: Den Orfeo singt der grandiose Countertenor Bejun Mehta. Seine Euridice im Haus für Mozart ist Camilla Tilling, den Amor gibt Ana Quintans, den Tod tanzt Uli Kirsch. Es spielen Les Musiciens du louvre Grenoble in Zusammenarbeit mit dem Mozarteumorchester Salzburg unter der Leitung von Marc Minkowski. Furien, Schatten und Larven singt der Salzburger Bachchor.

Zur Einstimmung und Einführung gibt es als ersten Termin der Mozartwoche 2014 noch vor der Premiere am 23. Jänner um 14 Uhr gleich das erste Round Table-Gespräch: Ivan Alexandre, der Regisseur von ‚Orfeo ed Euridice’, Irene Brandenburg, Gerhard Croll, Ulrich Etscheit, Christoph Hammer und Karl Harb sprechen über „Mozart und seine Zeitgenossen, Konkurrenten und Freunde, Gluck und Clementi“. Eine Einführung gibt Matthias Schulz, das Gespräch moderiert Ulrich Leisinger. Danach hält um 18.30 der Musikwissenschaftler Oliver Kraft noch einen Einführungsvortrag.

Mozartwoche 2014 - 23. Jänner bis 2. Februar - Karten, Reskarten, Info - www.mozarteum.at
Der Programmfolder zum Download
Bilder: ISM/Marco Borggreve (2); Anna Hult (1); Javier de Real (1); Felix Bröde (1)

 

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