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Wer überlebt? Die Clowns. Vielleicht.

WINTERFEST / MATAMORE

01/12/14 Stellen wir uns vor, was wir uns freiwillig freilich nicht vorstellen wollen: Den Zirkus gibt’s nicht mehr, nicht mal einen Circus, womöglich nicht mal Cirque nouveau. Er ist eine längst verjährte Angelegenheit, Schnee von gestern. Träumer bekommen da eine Gänsehaut.

Von Reinhard Kriechbaum

Was tut das fahrende Volk, wenn es aus ist mit dem Zirkus, was tun die ehemaligen Protagonisten? Vielleicht geistern sie als Untote herum, als Wiedergänger der Schaustellerei. Deformiert irgendwie, aber doch noch gut kenntlich. Bizarr in der Erscheinung, aber noch haftet die Schminke am Gesicht, auch wenn da und dort ein Farbklecks verquer gesetzt, ein Lidstrich danebengegangen ist.

Mit der Vitalität ist es so eine Sache als untoter Zirkusmensch. Irgendwie scheint manche Nummer zu knarzen. Die Leichtigkeit ist nicht mehr da. Selbst der leichtgewichtige „Prinz ohne Land“ (wie er eingeführt wird), wirkt dürr und verloren in seiner um die schmalen Oberschenkel klachelnden kurzen Hose. Er und der Kraftlackel mit dem roten Wikingerbart, der ihn wieder und wieder in die Höhe stemmt und herumschleudert: eine Figurengruppe, die aus der Proportion geraten ist wie alles an diesem fast zweistündigen Schauspiel in Slow Motion, dem „Matamore“, eine Figur der alten Commedia dell’Arte, den Titel gegeben hat.

Da sitzt man also im Zelt, sagenhaft ungemütlich, und schaut tief hinunter in die winzige Arena, die einer Löwengrube ähnelt. Vier Herren und eine Dame treiben miteinander und gegeneinander Spaß mit latent schaurigen Untertönen. Martialisch ist ihr Schaberenack, gallig ihr Humor. Boshaft gehen sie miteinander um. Es kommt einem in den Sinn, dass diese Wiedergänger verblichener circensischer Unterhaltungskunst in ihrem einstigen, echten Leben wohl einiges an Aggression gegeneinander wegstecken haben müssen. Jetzt bricht sie hervor.

Wenn man der neuen Zirkuskunst gemeinhin Poesie nachsagt: Hier ist es Rabiat- und Bracchial-Poesie. Sehr gewöhnungsbedürftig ist also das, was zwei französische Kleinstgruppen, der Cirque Trottola und das Petit Théâtre Baraque, in dieser Gemeinschaftsproduktion in ihre beengende Souterrain-Arena einbringen. Herkömmliche Artistik darf man nur sehr beschränkt erwarten, dafür viel Schauspiel. Nichts da mit burlesker Abendunterhaltung. „Matamore“ ist die diesjährige Winterfest-Produktion für emotionale Hardliner.

Trostreich allemal, wenn man die Peitschen knallende, Cello spielende, Salto schlagende, ein Shakespeare-Königinnendrama persiflierende, einen neurotisch schwanzwedelnden Hund domptierende und eine lebensgroße Marionette am Reck turnen lassende Gesellschaft ansieht: Wenn auch der alte Zirkus passé ist und seine Protagonisten morbide Kasrikaturen ihrer selbst sind: Die Clowns überleben. Vielleicht.

Aufführungen bis 20. Dezember – www.winterfest.at
Bild: Winterfest / Philippe Laurencon

 

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