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Klangräume, Klangträume

FESTSPIELE / ORF RADIOSYMPHONIEORCHESTER

12/08/16 Der Jubel wollte kein Ende nehmen, als der rüstige Neunziger Friedrich Cerha am Donnerstag (11.8.) das Podium in der Felsenreitschule betrat. Inmitten eines famosen Konzerts des ORF Radiosymphonieorchesters Wien war soeben ein neues Orchesterwerk des Altmeisters im weiten Raum sphärisch verklungen.

Von Gottfried Franz Kasparek

„Sphärenklänge ohne Walzer“. So könnte man das wundersame Stück auch nennen, welches einen romantischen Titel trägt: „Eine blassblaue Vision (die sich in der Morgendämmerung langsam auflöst, Knabenmorgenblütentraum) für großes Orchester“. Zwanzig Minuten Klangzauber, der die irisierenden Flächen der singulären „Spiegel“ von 1960/61 reflektiert und weiterentwickelt. Cerha hat tatsächlich am Morgen geträumt, vielleicht beeinflusst durch die Lektüre von Franz Werfels Novelle „Eine blassblaue Frauenschrift“, wie der Komponist selber schreibt. Ein wahres Meisterstück ist entstanden, durchpulst von meist leisen, verhaltenen melodischen Partikeln, sich im Mittelteil fast bedrohlich verdichten und mächtig aufrauschen, ehe das Ende mit dem in höchster Lage gespielten Cis der Violinen erstirbt.

Mit vielfach geteilten Streichern, gestopften Bläsern und perkussiven Spielen entsteht wahrlich ein tönender Traum, eine berührende Vision reiner Schönheit. Neue Musik? Ja, aber eine, welche die Tradition beider Wiener Schulen individuell weiter führt. Man mag zwischendurch ein wenig an die kunstvoll verschlungenen Harmonien des „Siegfried-Idylls“ denken, doch Cerhas musikalische Sprache weiser Reife ist im höchsten Maße unverkennbar, in sich ruhend und doch im Aufschwung voll dramatischer Energie.

Maestro Cornelius Meister und sein in allen Sektionen mit ebensoviel luzider Transparenz wie warmem und doch hellem Timbre musizierendes Orchester waren die getreuen Sachwalter Cerhas. Das Tänzerische umrahmte die frei schweifende Phantasie, in Form von zwei farbenfrohen Werken Maurice Ravels. „Alborada del gracioso“, die leuchtkräftige spanische Rhapsodie mit Flamenco-Urrhythmen und fabelhaften Bläsersoli, stand davor, die doppelbödige Walzer-Apotheose danach. Meister modellierte „La Valse“ mit effektvoll spannungsgeladener Virilität, als straff durchgezogenen Tanz auf dem Vulkan. Berauscht von expressiven Klangräumen ging man in die Pause.

Danach stand mit Béla Bartóks „Konzert für Orchester“ vergleichsweise spröde Klanglichkeit auf dem Programm. Die freilich gerade in ihren elegischen, heimwehkranken, sozusagen das gute Ungarn beschwörenden Sequenzen immer wieder zu berühren vermag. Cornelius Meister arbeitete die klassizistischen Konturen und folkloristischen Aneignungen des Stücks aufs Schönste und Klarste heraus, ohne den großen Bogen zu vergessen, in den Satzpausen meditativ innehaltend, im Finale mit vitalem Temperament auftrumpfend. Das böse Lehár-Zitat im „Intermezzo interrotto“ wirkte fast ein wenig wie augenzwinkernde Ironie, allem Bläsergefurze zum Trotz. Mag sein, dass Schostakowitsch mit seiner „Siebenten“ dafür auch Pate stand – wesentlicher könnte sein, dass der Emigrant Bartók sich verständlicher Weise sehr geärgert hat. Denn „Die lustige Witwe“ des nicht emigrierten, in Nazideutschland gefeierten, um seine jüdische Frau zitternden Lehár war 1942 ein Riesenerfolg am Broadway, während Bartók Musik zunächst in den USA nahezu ignoriert wurde. Und vor und nach der Parodie ließ er eine sonore magyarische Gestik einfließen, die, bloß ein wenig süffiger instrumentiert, ohne weiteres von Lehár sein könnte … Es sind die fatalen Verstrickungen der Zeit, die sich darin spiegeln.

Hörfunkübertragung am Freitag, 14.8., um 19.30 Uhr, Ö1
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli (2); Anne Zeuner (1)

 

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