Depressiv zum Katholischwerden
SALZBURGER FESTSPIELE / JEDERMANN
23/07/17 Es ist eine Wendung nicht nur um 180, sondern gleich nochmal weitere 360 Grad herum - vom spiel-lustigen und vom Bild her gedachten „Jedermann“ von Brian Mertes und Julian Crouch der letzten vier Jahre zum neuen, reformatorisch-strengen und unmittelbar aufs Wort sich beziehenden Jedermann-Versuch von Michael Sturminger.
Von Reinhard Kriechbaum
Versuch, ja. Das letzte Wort ist nämlich ganz sicher noch nicht gesprochen, so ernst Regisseur Michael Sturminger und Tobias Moretti in der Titelrolle die Sache auch anlegen. Dass das Spiel vor dem Dom unglücklicherweise gerade am Premierenabend zu einem solchen auf der Festspielhausbühne geworden ist, war der Sache auch nicht gerade zuträglich. Die Tontechnik schien vom Gewitter überrumpelt worden zu sein, die sprach-akustische Fassung an dem Abend war beklagenswert.
Und gerade darauf wäre es wohl angekommen. Denn wie selten in den letzten Jahrzehnten wurde Hofmannsthal beim Wort genommen – auch durch kräftiges Kürzen, Redigieren, Szenenumstellen und Hinzudichten. Solches müssen sich ja heutzutage alle Theaterautoren von ihren Dramaturgen und Regisseuren gefallen lassen. Kein Grund also, gerade den „Jedermann“-Text als sakrosankt zu konservieren.
Die Szenen vor allem zu Beginn gehen rascher vorüber als gewohnt. Michael Sturminger führt uns kurz mal vor, wo der Hund begraben liegt: in der Geldwirtschaft. Der arme Nachbar (Roland Renner) ist vermutlich ein Mindestrentner, der das Beste macht aus sich selbst und seiner Situation und keineswegs in Lumpen daher kommt. Der Schuldknecht (Fritz Egger) wirkt in seinem grauen Anzug wie einer, der sich zu unvorsichtig auf Swap-Geschäfte eingelassen hat. Eigentlich die Soigniertheit in Person. Jedermann hat einfach die besseren Aktien.
Er ist zunächst mit der Festorganisation beschäftigt (vom letzten Gelage liegen noch die Leergebinde herum) und bläst zwischendurch gelangweilt auf der Trompete. Auch der gute Gesell (Hanno Koffler) wirkt nicht überanimiert. Die Sache mit dem Haus der Lüste ist eh schon gelaufen, Tobias Morettis Jedermann hat den Pfaffen den Dom abgekauft, möchte ihn umbauen. Das Taufbecken soll zum Bad werden, wahrscheinlich zum Wellnessbereich, die Glocken sind schon abgehängt und stehen herum, als Wohnzimmer-Zierrat oder bereit zum Abtransport. Nichts ist diesem Jedermann heilig.
Das geht alles recht knöchern und staubtrocken dahin, auch Jedermanns Mutter (Edith Clever) ist eher Oberlehrerin als schrullige Alte. Die Bögen aus Metall und Lichtröhren (sie zitieren die Domfassade) und der weiße Gaze-Vorhang machen auch intimere Szenen möglich. So radelt die Buhlschaft nun nicht als Gast herbei. Sie lebt mit Jedermann zusammen. Im schwarzen Negligée räkelt sich Stefanie Reinsperger auf dem Bett. Die Buhlschaft hat etwas mehr Text bekommen. Sie schupft den Haushalt und demnächst wird sie als Krisenmanagerin ihren Mann stehen müssen. Nach dieser häuslichen Boudoir-Szene wird’s dem lieben Gott zu bunt, da kommt (vom Tonband) die Stimme von Peter Lohmeyer, er schickt den Tod aus.
Nichts diesmal mit Fröhlichkeit im Kreis der Tischgesellschaft! Gerade mit deren Eintreffen erlebt Jedermann einen tiefen Depressionsschub. Da brauchts keine Jedermann-Rufe (die hat man schon einleitend, quasi als Ouvertüre gehört). Die Buhlschaft hat alle Hände voll zu tun, die Etikette zu sichern. Mit dem Eintreffen des Todes – Lohmeyer in figuram zeigt imponierende Tätowierungen – neigt sich die Spielfläche, Tische und Utensilien kommen ins Rutschen. Jedermann verliert ganz anschaulich den Boden unter den Füßen. Souverän und ohne jede Hysterie verweigert ihm die Buhlschaft die Begleitung.
Mammon (Christoph Franken) kommt als güldener Wuschelhund angekrochen, wirft das Fell aber dann ab und lehrt Jedermann das Tanzen. Zuletzt hockt Franken mit ganzen Gewicht auf dem armen Moretti. Nein, Geld in solcher Masse macht nicht glücklich! Von ganz schmächtiger, ja rachitischer Gestalt liegt plötzlich Mavie Hörbiger im Krankenbett, das eigentlich für Jedermann gedacht ist. Die guten Werke legen aber die Agonie ab, und schwingen sich, da Jedermann dieses knöchige Elend nicht als Rettung einschätzt, mit jähem Schwung auf seine Schultern. Wie der Glaube (Johannes Silberschneider) mit dem Teufel umgeht, lässt die Guten Werke in Görenart schadenfroh lachen. Der Teufel (wieder Hanno Kofler) ist von der Regie ein wenig stiefmütterlich behandelt worden. Es bleibt bei ein wenig Feuerzauber im Souterrain. In seiner Verzweiflung legt sich der Teufel dem Glauben in den Schoß und erntet glatt ein Kreuzzeichen.
Zum großen Glaubens-Rettungsfinale - zuletzt gibt’s einen Kuss zwischen Jedermann und Tod: Erstaunlich, wie nahe Regisseur Sturminger gerade da an Hofmannsthal bleibt. Schnell und gut ist Jedermann gerettet. Die Sehnucht des modernen Menschen nach einfachen Lösungen? Religions-Populismus, vielleicht sogar ironisch gemeint? Das bleibt uneindeutig.
Eindeutig, dass Jedermann die Rolle für Tobias Moretti ist. Depression, Verzweiflung, Selbstzweifel, wenn's ernst wird: Das spielt er glaubwürdig und stark. Depressiv zum Katholischwerden – das ist der Eindruck der Aufführung überhaupt. Der nach der Premiere eigentlich unvermutet in solcher Stärke hereinbrechende Jubel galt Moretti und dem Schauspielerteam insgesamt, für Michael Sturminger und sein Team gab es jedenfalls keine Buhrufe. Ein Totentanz hätte es wohl werden sollen, vorerst ist es ein – zum Teil einprägsames – Nummerballett. Der dramaturgisch zwingende Sog ist noch nicht drin, obwohl es mit nur 95 Minuten vergleichsweise flott geht. Da ist noch Luft nach oben.