asdf
 

Ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf

FESTSPIELE / ANITA LASKER-WALLFISCH

16/08/20 Sie habe vermieden, Österreich oder Deutschland zu betreten. Die Salzburger Festspiele hätten sie nie interessiert. „Aber nun feiern die Festspiele hundert Jahre“, und mit 95 sei sie selber „nicht soweit von hundert entfernt“. Anita Lasker-Wallfisch verdankt der Musik ihr Leben, „wenn auch in der absurdesten Form“: Sie überlebte Auschwitz als Cellistin im Lagerorchester.

Von Heidemarie Klabacher

Anita Lasker-Wallfisch, Jahrgang 1925, wäre die offizielle Festspielrednerin gewesen, hätte es denn einen Eröffnungs-Festakt gegeben. Nun sprach die Cellistin und Mitbegründerin des English Chamber Orchestra in der Reihe Reden über das Jahrhundert via Leinwand in der Felsenreitschule: Corona und die Folgen haben die Flugreise der überhaupt nicht betagt wirkenden Dame unmöglich gemacht. „Wir haben ein Filmteam nach London geschickt“, sagte Intendant Markus Hinterhäuser bei seiner Begrüßung. So sprach Anita Lasker-Wallfisch via Leinwand zum Festspiel-Publikum. Ein dringender Wunsch: dass dieser Film als Zeitzeugendokument durch die Schulen und um die Welt gehen möge.

Im Rückblick auf das Jahrhundert – auf das Schlimmste, auf die unermesslichen Beträge zur Kultur und auf die erstaunlichen Fortschritte der Technik – sei es erschreckend, „dass die Menschen nicht sehr viel gelernt“ und „unverbesserliche Antisemiten wieder Mut gefasst“ hätten. Angesichts der Liste der namhaften Festspielredner fühle sie sich „zu einem Zwerg reduziert“. Sei sie doch „ganz einfach jemand, der Dank der Musik am Leben geblieben ist, während andere ermordet wurden“. Mit ihrem Beitrag wolle sie versuchen zu vermitteln, so Anita Lasker-Wallfisch„ welche Rolle die Musik in meinem Leben gespielt hat.“

Anita Lasker, geboren 1925, war eine von drei Töchtern einer jüdischen Notarsfamilie in Breslau, „der Vater, zu hundert Prozent deutsch, sang mit Begeisterung Schubertlieder“. Die Schwestern Marianne und Renate lernten Klavier und Geige, sie selber „mit Begeisterung Cello“. In ihrer Familie gab es wenig Regeln, „außer, dass am Sonntag Französisch gesprochen und am Sonnabend deutsche Klassik gelesen“ wurde.

Dass sie ein „Jude“ ist, habe sie mit acht Jahren erfahren, als in der Schulklasse beim Tafellöschen gesagt wurde, „gib dem Juden nicht den Schwamm“. Die Eltern konnten das gar nicht so leicht erklären, was denn ein Jude sei.

Jude sein war einfach gefährlich. Obwohl der Vater gemeint habe, „es geht vorüber“. Ging es nicht. Als in Breslau kein Cello-Lehrer mehr ein jüdisches Mädchen unterrichten wollte oder konnte, wurde die 13-jährige Anita Lasker als Privatschülerin nach Berlin zu Leo Rostal geschickt. „Dann kam die Reichskristallnacht.“ Ihre „schöne Wohnung“ mussten sie verlassen, dennoch wurde „weiter alles getan, um weiter Musik zu machen“.

Einer Schwester sei die Flucht gelungen, Auswanderungsversuche der Familie scheiterten, „wir waren gefangen“. Irgendwann stand Musik nicht mehr auf dem Programm, „außer in den Köpfen“. 1942 wurden die Eltern deportiert, sie habe sie „nie wieder gesehen“. Den Schwestern Anita und Renate rettete das „Verbrechen“ eines Fluchtversuches das Leben: „Als Verbrecher eingestuft zu werden, war besser denn als Jude.“ Ende 1943 wurde Anita Lasker, etwas später auch ihre Schwester Renate, ins KZ Auschwitz-Birkenau verbracht. Beide kamen in die von Alma Rosé, einer Nichte von Gustav Mahler, geleitete Lagerkapelle. Dieses „Orchester“ – es waren knapp fünf Musiker drunter, die ihr Instrument halbwegs beherrschten, erzählt die Cellistin – mussten den Auszug der Häftlinge am Morgen und ihre Rückkehr ins Lager am Abend begleiten.

Gespielt wurden Märsche, im Freien am Lagertor, bei jedem Wetter und im Anblick der geschundenen Häftlinge und der rauchenden Schornsteine. Tagsüber wurde geprobt oder an Arrangements gearbeitet für die skurrile Besetzung des Orchesters – Mandoline, eine Blockflöte, Geigen, eine Gitarre, „jetzt auch ein Cello“. Die Märsche für diese Besetzung mussten von Alma erst einmal instrumentiert werden.

„Spielt für uns, nicht für unsere Peiniger“, habe Alma Rosé immer wieder gesagt, die „nicht immer gut gelaunt" war, „aber Übermenschliches geleistet hat“. Immer wieder habe Alma Rosé ihre Musikerinnen gebeten: „Mein Vater lebt in London. Wenn eine von euch überleben sollte, erzählt ihm von uns, aber schont ihn.“ Sie, so Anita Lasker-Wallfisch in ihrer Rede über das Jahrhundert, kam 1946 in London an und habe ihn geschont: „Ich erzählte ihm nur, wie viel wir Alma verdanken.“

Nachdem die Nazis begonnen hatten, die Vergasungsanlagen in Auschwitz zu schleifen, kamen Anita und Renate Lasker mit anderen Mitgliedern der Kapelle ins KZ Bergen-Belsen. „Da gab es keine Musik mehr.“ Am 15. April 1945 wurde Bergen-Belsen von britischen Truppen befreit. Bald hatte sie auch wieder ein Cello... In London habe sie 1948 ihren Berliner Cellolehrer Leo Rostal wieder getroffen, studierte an der Guildhall School of Music, wurde 1949 Mitbegründerin des English Chamber Orchestra und ist seit 1951 britische Staatsbürgerin. Oft sei sie gefragt worden, erzählt Anita Lasker-Wallfisch, wie sie nach ihren Erfahrungen je wieder Musik machen konnte. Ihre Antwort bis heute: „Man kann Menschen ermorden, Städte und Kunstwerke zertrümmern. Musik ist unantastbar.“

Also: "Ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf." Das ist ein ein Zitat aus Paul Celans Todesfuge aus 1944/45: Das Gedicht wurde, virtuos gelesen vom Autor selber, in einer historischen Aufnahme der Rede von Anita Lasker-Wallfisch vorangestellt. Bewegend die Idee der Festspielleitung: Nach der zugespielten Rede von Anita Lasker-Wallfisch spielte die junge Cellistin Julia Hagen Johann Sebastian Bachs Suite für Violoncello Nr. 1 G-Dur BWV 1007.

Eine umfassende Online-Biographie von Anita Lasker Wallfisch ist im „Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit“, herausgegeben von Claudia Maurer Zenck und Peter Petersen an der Universität Hamburg 2007, nachzulesen - www.lexm.uni-hamburg.de
Bilder: Salzburger Festspiele (2) / Benjamin Ealovega/USC Shoah Foundation (1); SF/Marco Borrelli (1)
Die DrehPunktKultur-Berichte über die „Reden über das Jahrhundert“:
Alexander Kluge Notausgänge gehören zum Welttheater
Navid Kermani Argo fuck yourself!
Elisabeth Orth Mit kompromissloser Stimme

 

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014