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Das feine Innenfutter vom symphonischen Mantel

FESTSPIELE / IGOR LEVIT

01/08/21 Eine Beethoven-Symphonie, die Siebente, ist durch Liszt (und Wagner) sogar zu ihrem Beinamen gekommen, Apotheose des Tanzes. Der eine entfesselte symphonische Sogkraft an den Tasten, der andere setzte diese in Bewegung um. Die Szenerie im Palazzo Vendramin in Venedig muss man sich ausmalen...

Von Reinhard Kriechbaum

Ob sie im Entferntesten vergleichbar war mit der Stimmung, wie sie Igor Levit am Samstag (31.7.) im Großen Festspielhaus suggerierte? Mit der von Liszt auf Tasten reduzierte Eroika hat Levit eine Programmfolge eingeleitet, die didaktisch in eine ganz andere Richtung wies als in jene, auf dem Klavier Orchester-Effekte zu erzielen. Liszt hat vieles bearbeitet und paraphrasiert, von Schubert-Liedern bis zu Verdis Rigoletto. Da ist meistens ganz viel individuelle Note dabei. Mit Beethoven aber ist Liszt deutlich vorsichtiger, respektvoller, pietätvoller umgegangen. Seine Symphonie-Transkriptionen sind streng am Original orientiert. Da ist viel mehr Strukturbewusstsein als Klang-Spekulation. Vielleicht deshalb sind diese Klavier-Übertragungen nicht gerade Liebkinder auf den Konzertpodien.

Igor Levit hat genau diesen Strukturen nachgespürt. Ja, schon auch viel Power, aber die sieben markanten Akkordschläge im Eröffnungssatz haut Levit fast lieblos hin, weil ihn ganz andere Dinge interessieren: das Zurücknehmen, das neugierige Hinein-Horchen in die melodischen Kernstrukturen. Da ist er dem „Romantiker“ Liszt im Grunde eben so nah wie Beethoven, der eben nicht nur „Klassiker“, sondern auch Schubert-Zeitgenosse war.

So lieferte Levit, gerade weil er gewiss nicht der Apologet der blauen Blume ist, hintergründigen Hör- und Nachdenkstoff in Fülle. Es ist, so auf lyrische Valeurs an den Tasten konzentriert, von Beethovens Idiom überhaupt nicht weit zu Schuberts ganz späten Drei Klavierstücken D 946. Auch wenn zwischen der Eroika und den Impromptus-artigen Charakterstücken realiter beinah ein Vierteljahrhundert liegt.

Wo Klassik aufhört und wo Romantik beginnt, darüber konnte man also ausgiebig sinnieren an diesem Abend. Am intensivsten wohl in der Marcia funebre der Eroika. Der Satz dauert in Levits Lesart gefühlt fünf Minuten länger als das Orchester-Original, der Gewinn ist eine Verdichtung der Stimmung, wie man sie selten erlebt in diesem Raum. Die sprichwörtliche Stecknadel hätte man fallen hören, wären denn spitze Gegenstände in den Taschen der Festspielbesucherinnen erlaubt. Übrigens ging Levit auch das Scherzo bemerkenswert ruhig an, und auch da mit reichem Ertrag in der Detailschärfe.

Bei alledem war letztlich der „Orchestereffekt“ völlig nebensächlich. Wir haben viel mehr das feine Innenfutter vom symphonischen Ledermantel gesehen. Das galt nicht zuletzt für Prokofjews Sonate Nr. 7 B-Dur op. 83. Ein Stück aus den Kriegsjahren (1943), eine fast trotzige neoklassizistische Durchhalte-Anweisung? So mögen's die Zeitgenossen damals aufgefasst haben. Igor Levit, der Eigen-Sinnige, lenkte wiederum in andere Richtung. Wie viel doppelbödiger Schubert steckt doch auch in Prokofjew. Das muss einer so konsequent und eigenständig erst herausbringen. So hat sich eine Art vor-, hoch- und postromantischer Innenschau durch eine Werkfolge gezogen, der man zuvor bedenkenlos das Etikett „Pasticcio-Programm“ aufgedrückt hätte. Und dieser Bogen reichte bis zur Zugabe, der in bezwingender Klarheit und Strenge modellierten Choralbearbeitung Nun komm der Heiden Heiland, BWV 659. Fassung Busoni, logisch nach Beethoven/Liszt.

Bild: Salzburger Festspiele / Robbie Lawrence

 

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