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Buhlen ums greise Glücksschweinchen

FESTSPIELE / PERNERINSEL / ÖDIPUS AUF KOLONOS

27/07/10 Peter Stein ist der Direktor eines wohlsortierten theatralen Antikenmuseums, Klaus Maria Brandauer sitzt und redet, redet, redet. Und auch die anderen liefern gewaltige Wortmengen ab. Fast drei Stunden ohne Pause dauert das zweite Ödipus-Stück des greisen Sophokles: eine perfekte, aber recht altväterlich wirkende Aufführung.

Von Reinhard Kriechbaum

Da hat Antigone ihren blinden Vater nach jahrzehntelangem Umherirren also nach Kolonos geführt, in den heiligen Hain vor Athen. Darf er sich dort überhaupt niederlassen, der geächtete Alte? In Theben war er ja verstoßen worden, nachdem er ohne es zu wissen seinen Vater ermordet, seine Mutter geheiratet und mit ihr Kinder gezeugt hatte. Selbst hat er sich damals geblendet aus Verzweiflung und Selbsthass. Was haben die Götter da bloß angerichtet!

Aber jetzt hat Ödipus ausgebüßt, jetzt haben die Himmlischen sein Ende angebahnt, jetzt wird nicht mehr gehadert. Die Stadt, wo er sterben wird, werde besonders stark sein, wurde ihm einst orakelt. Das macht den Greis zum gern gesehenen Gast, zum Human-Glücksschweinchen.

"Ödipus auf Kolonos" des  uralten Sophokles gehört nicht zu den Favoriten auf dem Theater. Da wird in jeweils riesigen Textmengen Unterschiedliches verhandelt: Ob Ödipus überhaupt Gastrecht bekommen darf zuerst. Dann sprechen der alte Kreon und der junge Polyneikes vor bei Ödipus. Sie wollen mit seiner Hilfe jeweils für sich die Thronrechte in Theben sichern. Aber sie haben schlechte Karten. Altersmilde und Vergebung sind keine Antiken-Tugenden. Theseus, dem Herrscher in Athen, gehört jetzt die Sympathie des Alten. In Athen möchte Ödipus sterben, und da kommt nach über zweieinhalb Stunden Zeus' Ungewitter und damit die himmlischen Apotheose des Geschundenen. Daran schließt sich noch ein reportagehafter Bericht des Boten an und ein üppiges Lamento der Töchter Antigone und Ismene.

Einen langen Atem braucht's also, auf und vor der Bühne, für "Ödipus auf Kolonos". Von bestem altklassischen Schauspielertheater ist zu berichten nach der Festspielpremiere auf der Pernerinsel in Hallein. Peter Stein ist ein Theatermann aus altem Schrot und Korn, und er ist humanistisch gebildet obendrein. So hat er seine eigene Übersetzung gemacht, und die kommt daher in ungemildet klassischer Sprachbildkraft. Da wird einem kein Nebengedanke geschenkt, keine weitschweifiges Ausritt in die weitverzweigten Mythenlandschaften und Göttergefilde: Peter Stein eben in seiner an Besessenheit grenzenden Detailverliebtheit.

Aber er hat mit Klaus Maria Brandauer und mit dem Team des Berliner Ensembles die rechten Leute, die das Publikum hineinzwingen in die Endlos-Schleifen antiken Denkens. Da sitzt also Brandauer auf einem unbequemen gusseisernen Sessel, vor dem mit rostbrauner Mauer umgebenen graugrünen Olivenhain. Und er redet, redet, redet. Seitenweise. Auch die "Stichwortbringer" laden respekteinflößende Wortschwälle ab.

Faszinierend, dass man dabei kaum einmal abrückt von Wohnzimmer-Lautstärke. Die handwerkliche und sprechtechnische Meisterschaft äußert sich gerade darin, dass niemand ausklinkt. Ganz selten wird Brandauers Stimme schneidiger, spiegelt sie innere Erregung - und auch dann schwingt die Erschöpfung des Greises mit. Das ist eine Klasse für sich.

Jürgen Holtz lässt den im Rollstuhl daherkommenden Kreon verschmitzt quasseln ("Es ist ein Unterschied, viel reden oder zutreffend") und alle Überredungskunst aufbieten. Christian Nickel ist ein unaufgeregter, eleganter Theseus, Martin Seifert ein nicht minder souverän-ruhiger Bote. Interessant: Die einzige Rolle, die juvenilem Überschwang anböte, vergeigt der etwas hölzern wirkende Dejan Bu?in als Polyneikes. Emanzipationsbewusste Menschen müssen sich die Haare raufen angesichts der pausbäckig dienenden Antigone (Katharina Susewind) und der mit Vorliebe devot buckelnden Ismene (Anna Graenzer).

Ein Dutzend Herren geben den Chor geben. Ihn hat Peter Stein aufgesplittet, aus dem Unisono wächst durch Solo-Wortmeldungen imaginärer Dialog. Hochmusikalisch, im Wortrhythmus pointiert, im Timbre ausgewogen kommen die Elogen, die doch alles andere sind als Äußerung tumber Masse. Manche der Zwölf, die für das Athener Volk stehen, gehen am Stock, einen beutelt der Parkinson, jeder hat seine Auffälligkeiten - es sind also keineswegs uniforme Herren in Anzügen und breitkrempigen Hüten. An dieser Stelle ist ein Loblied auf die Kostümbildnerin Moidele Bickel angebracht, die mit unaufdringlicher Differenzierungskunst Schau-Stoff liefert. Ödipus selbst ist in seinem bemitleidenswert schäbigen Gewand ja auch als eine Kunstfigur bis zur letzten unartigen Haarsträhne gleichsam durchmodelliert. Joachim Barth rückt das in wundersam unaufdringliches Licht.

Warum aber ist man am Ende drei Stunden gesessen, über einer perfektionistischen Aufführung, bei der man nur deshalb gelegentlich auf die Uhr gesehen hat, um vorgewarnt zu sein: Nach zweieinviertel Stunden nämlich komme ein Riesenknall, heißt es auf ausgehängten Zetteln, und es wurden auch vorsorglich Ohrenstöpsel verteilt. Gar nicht schlimm, das war nur der tatsächlich laute Zeus'sche Befreuungsschlag - die Entrückung, altErhöhung, Versenkung des Ödipus im Olivendickicht. So genau weiß das ja nicht mal der Bote zu sagen.

Was also hat's wirklich gebracht? Werden Botschaften destilliert, heutige gar? Wir haben uns breitwillig hineinziehen lassen ins antike Denken von Schuld und Sühne, im günstigsten Fall nachgedacht über die unterschiedlichen Erlösungsvorstellungen von antiken Göttern und unserer christlichen Welt. Gerne haben wir uns hineinzwingen lassen in eine konzentrierte Atmosphäre einer Antikenschau quasi im Originalton. - Und doch gibt's herzlich wenig mitzunehmen aus diesem Theater, das Sentenzen bereitlegt wie sorgsam gereinigte archäologische Bruchstücke im Museum. Wertkonservative freilich dürfen sich freuen über Peter Stein als Direktor dieses Antikenmuseums und sein Team. Da herrscht Übersicht und Ordnung, und die Vitrinenscheiben sind blitzblank geputzt.

Aufführungen bis 21. August auf der Pernerinsel, Hallein. - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SYF / Monika Rittershaus

 

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