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Commedia lirica als Kasperltheater

FESTSPIELE / FALSTAFF

13/08/23 Eine seltsam disparate Produktion ist dieser Falstaff geworden Die Premiere am Samstag (12.8.) endete mit Achtungsapplaus für Dirigent und Orchester, größerer Anerkennung für die Mitwirkenden auf der Bühne und einem nur wenig widersprochenen Buh-Orkan für das Regieteam. Ein Konzept, das durchaus intellektuelle Meriten hat, ist leider so gar nicht aufgegangen.

Von Gottfried Franz Kasparek

Es gab ein paar Momente in der Schussszene, da stimmte wenigstens musikalisch alles. Das traumhaft schöne Hornsolo im Park von Windsor, das zärtlich verhaltene Sonett Fentons, stilsicher gesungen von Bogdan Volkov, Nannettas Anrufung der Waldgeister durch die feine Silberstimme Giulia Semenzatos, dazu sensibles Naturgespinst der Wiener Philharmoniker – das war festspielwürdig. Man musste allerdings dazu die Augen schließen, um den konfusen Unfug der Inszenierung von Christoph Marthaler und Team zu vergessen.

Dabei ist die Idee hinter dem Unfug durchaus schlüssig. Orson Welles hat 1965 mit sich selbst in der Hauptrolle einen legendären Falstaff-Film gedreht, später ein Selbstporträt als Regisseur und allerlei kluge Texte zum Thema verfasst, deren letzter im Programmheft erstmals abgedruckt ist. Also wird auf der von Anna Viebrock szenisch geschickt, aber wie bei ihr üblich eher stimmungslos und ohne jeden Naturzauber vollgerümpelten Riesenbühne ein Film gedreht, mit einem stummen Falstaff-Doppelgänger. Er sitzt nicht nur im Regiesessel, sondern taucht überall Zigarre rauchend auf. Marc Bodnar ist dieser sehr ansehnliche, gebührend wohlbeleibte „Orson W.“ - nun ja, Welles brauchte sich in dieser Rolle nicht erst künstlich aufzublähen.

Erfreulich ist, dass der Dreh nur gespielt wird und keine Videos erzeugt. Störend ist, dass die vielköpfige Filmcrew rund um Bodnar, eine gewisse Robinia in schlanker Gestalt von Liliana Benini und den artistischen „First Assistent Director“ Joaquin Abella fast den ganzen Abend lang über die Bühne wuselt. Alle Achtung vor der mimischen und pantomimische Leistung der Gruppe, aber was hat es zu bedeuten, wenn während des Treffens von Falstaff und Ford ständig Leute in einen Swimmingpool ohne Wasser fallen, um bald wieder gelenkig herauszukriechen?

Dass der Artist sich mit und in ein paar Wäschekörben vergnügt, kommt dazu. Aha, dies symbolisiert die folgende Szene, die in Falstaffs Abenteuer in Wäschekorb und Bach endet. All dieses Herumgeturne lenkt aber massiv von der eigentlichen Oper ab. Das Finale des zweiten Akts entgleist völlig in wirres Getümmel. Der alte, weise Verdi hat nicht plumpen Klamauk und schenkelklopfenden Slapstick komponiert, sondern auf Shakespeares Spuren eine gemeinsam mit dem Librettisten Arrigo Boito genial zwischen scharfem Spott, menschlichem Verständnis und junger Liebe austarierte „Commedia lirica“.

Ingo Metzmacher hat darüber Erhellendes im Programmheft geschrieben. Am Pult ergeht sich der hochgeschätzte Dirigent freilich meist in einer klanglich massiv zugespitzten, laut, hart und kalt klingenden Partituranalyse, gekrönt von einer fetzig knallenden Schlussfuge, in der dem singenden Falstaff Gerald Finley sein nun als schwarzer Ritter auftretender Doppelgänger die letzten Worte stiehlt – „Tutti gabbati“. Alle sind Betrogene und alles ist Spaß auf Erden. Das Publikum wird um das zum Kasperltheater degradierte Stück betrogen und der Spaß daran ist allzu billig.

Immerhin schafft es der nach einer Kehlkopfentzündung noch rekonvaleszente und dennoch mit bewundernswert warmen Tönen und sensibel gestalteten Monologen aufwartende Gerald Finley als gar nicht komödiantisch dicker, sondern durchaus mit schrulliger Würde für sich einnehmender Landedelmann, eine Figur zu entwerfen, der man gerne in einer vernünftigeren Inszenierung begegnen möchte. Da dieser britische Gentleman mit Abgründen bei Damen sicher noch Erfolg haben könnte, hat er halt einfach Pech. Jedenfalls wirkt er wesentlich begehrenswerter als der staubtrockene Spießer Ford, dem Simon Keenlyside markantes Baritonformat verleiht.

Elena Stikhina ist mit leuchtendem Sopran und als vife Darstellerin jeder Zoll Mrs. Alice Ford und darf im Finale sogar das Regiepult übernehmen. Cecilia Molinari sekundiert trefflich als Mrs. Mag Page, Tanja Ariane Baumgartner ist eine ladyhafte Drahtzieherin Mrs. Quickly mit gereiftem Mezzo. Thomas Ebenstein (Dr. Cajus), Michael Colvin (Bardolfo) und Jens Larsen (Pistola) zeichnen stimmige Typen aus dem Volke. Der Wiener Staatsopernchor (Einstudierung Huw Rhys James) gibt sein Bestes. Aber sie alle leiden unter dem stets in die Quere kommenden Filmvölkchen, welches ihnen immer wieder einfach die Show stiehlt. Was „Altmeister“ Marthaler und sein Team wohl auch so beabsichtigt haben, was sich aber schlicht zu Tode läuft.

Oft weiß man nicht so wirklich, wer da gerade wer ist im bunt ausstaffierten Treiben im Filmstudio. Der Rezensent kann sich noch dazu an keine „Falstaff“-Produktion erinnern, die musikalisch derart langweilig gewesen wäre. Scusate mi, verehrter Maestro Metzmacher, aber das plakative Ausstellen von Verdis zweifellos vorhandener Modernität genügt nicht. Dazu gehört die vom Komponisten beschworene „Parola scenica“ – und denn doch südliche Leidenschaft und atmosphärische Farben. Eine schöne, aber knappe Viertelstunde lang, im Park von Windsor, ist es ja im Leisen geglückt.

Aufführungen bis 30. August im Großen Festspielhaus – www.salzburgerfestspiele.at
Die Aufzeichnung wird am 19. August um 20.15 Uhr in 3sat und am 3. September um 21.45 in ORF III ausgestrahlt
Bilder: Salzburger Festspiele / Ruth Walz

 

 

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