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Virtual Reality und Antimoderne

FESTSPIELE / MAX REINHARDT / FAUST 2023

25/08/23 Zugegeben: Der Schreiber dieser Zeilen ist so alt, dass er sich an die „Faust-Linde“ in der Felsenreitschule noch sehr gut erinnern kann. Trostreich, dass man dazu nicht wirklich betagt sein muss. Das etwas marod wirkende Bäumchen, das eigentlich in Wirklichkeit ein Ahorn war, ist erst in der Mortier-Ära gefällt worden.

Von Reinhard Kriechbaum

In der Schau Die Bühne als Stadt, bis 31.Oktober zu sehen auf der Empore im Karl-Böhm-Saal, findet man's bestätigt. Tatsächlich gibt es noch ein in Polyesterharz eingegossenes herbstliches Ahornblatt jenes Baums, von auch dem drei Stamm-Scheiben als weitere Devotionalien der Nachwelt erhalten sind. Eingepflanzt wurde das auf der Bühne eist etwas verloren dastehende Grünzeug 1933. Es war ja alles analog in der Faust-Stadt. Diese hat Clemens Holzmeister in die Felsenreitschule eingebaut, für die Inszenierung von Max Reinhardt, die bei den Festspielen von 1933 bis 1937 zu sehen war. Man kennt die Faust-Stadt von vielen Bilddokumenten. Die politisch brisanten Festspiel-Jahre zwischen Hitlers Machtergreifung in Deutschland und dem Anschluss 1938 sind bestens durchleuchtet.

Zum 150. Geburtstag von Max Reinhardt – er jährt sich am 9. September – gibt es heuer viele Initiativen. Einige Kulturinstitutionen arbeiten den Festspielen zu, vom Stefan Zweig Zentrum über das Theatermuseum Wien, das Salzburg Global Seminar bis zum Ars Electronica Future Lab. Letzteres ist involviert in die performative Führung Faust 2023. Dazu gab es heute Freitag (25.8.) mehrere Preview-Termine. Im Zentrum der Neugier steht natürlich jene Virtual-Reality-Brille, mittels der man ab 31. August hinein gebeamt wird in die Faust-Stadt. Ein paar Versatzstücke hat man real auf der Bühne nachgebaut, Fausts liebevoll angeramschte Studierstube etwa. Und den Blumengarten, in dem Faust und Gretchen turteln. Und der Baum steht auch da, so naturalistisch, dass sogar ein paar Stränge von verdörrtem Efeu dran sind. Auch wenn's alsbald virtuell wird, lassen sich die Festspiele nicht lumpen.

Die Virtual-Reality-Installation ist ein Feuerwerk im Wortsinn, da bahnen sich Feuerzungen – oder sind's Kugelblitze? – einen Weg durch die Gebäude, die ein mittelalterliches Salzburg imaginieren sollten. Es spukt in der Studierstube, und des Sternengeflunkers ist schier kein Ende. Das ist einprägsam gemacht. Boshafte Menschen könnten von Kitsch reden. Aber würde man den Reinhardt'schen Faust heutzutage originalgetreu nachspielen, täte sich das ebenso als Edelkitsch anfühlen und man könnte sich vermutlich das Lachen schwerlich verkneifen. Es ist, außer Fotomaterial von Proben und Aufführungen, Relikten wie dem Regiebuch und Plänen für die Erst-Möblierung der Felsenreitschule, so gut wie nichts überliefert von diesen Aufführungen.

Eine kurze Audio-Aufnahme von Paula Wessely als Gretchen. Meine Ruh ist hin: Da orgelt und tiriliert und seiert sie zum Gotterbarmen – Burgtheater der 1930er Jahre. Ein amerikanischer Journalist hat ein Zwei-Minuten-Filmchen gedreht vom Osterspaziergang (An Easter Outing): Da fühlt man sich fatal erinnert an jene Folklore-Show, die Tobias Reiser am selben Ort noch in den 1980er Jahren unter dem Titel Das Jahr des Herrn inszeniert hat. Max Reinhardt hat ein halbes Jahrhundert zuvor schon aus dem Vollen geschöpft, auf einem Kostümentwurf entdeckt man Tresterer und andere Perchten.

Die performative Führung mündet in diesen audiovisuellen Beispielen und in der Virtual Reality. Aber ihren Ausgang nimmt sie im Faistauer-Foyer. Dort hat man Muße, Faistauers katholische Bilderorgie auf sich wirken zu lassen, die manche damals für zeitgenössische Kunst gehalten haben. Margarethe Lasinger von den Festspielen hat den Führungstext verfasst.

Klug und anschaulich wird man in die politischen Ambivalenzen dieser Festspieljahre hineingezogen: etwa in die frömmlerische Scheinheiligkeit des eben errichteten Ständestaates, der Max Reinhardt (er durfte damals in Deutschland nicht mehr arbeiten) so bereitwillig zugearbeitet hat. Er, der schließlich ins Exil musste, hat hier auch mit Künstlern gearbeitet, die sich ab 1938 mit dem Nazi-Regime wohl zu arrangieren wussten. Etwa mit Ewald Balser (Faust) und Paula Wessely (Gretchen).

Im Karl-Böhm-Saal ist natürlich auch von deren Rolle damals die Rede. Auf dem Weg von den Faustauer-Fresken unter das Monumentalfresko des Türkenstechens von Rottmayr darf man selbständig weiterdenken, wie man in Salzburg (und natürlich nicht nur hier) das Katholische ausgelegt hat und bis heute auslegt. Salzburg als Stadt, in der die Intoleranz und die Antimoderne gleichsam den Genen eingeschrieben ist, wird da unmittelbar greifbar. Faust 2023 ist in diesem Sinne nicht nur Theaterhistorie, sondern ein gutes und wichtiges Stück politischer Bildung.

17 Leute können pro Führung teilnehmen, die bisher feststehenden, online buchbaren Termine sind am 31. August sowie am 8., 26. und 27. September. Es können bei entsprechender Nachfrage mehr Termine werden – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Ars Electronica Futurelab (1); dpk-krie (4)

 

 

 

 

 

 

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