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Altgold für die Abgründe

FESTSPIELE / CLAUDIO ABBADO

29/07/12 Er lässt den Solistinnen und Solisten den Vortritt, stellt sich zum Verbeugen als letzter in die Reihe, verschwindet fast hinter den Geigen. Der Saaldiener bringt die Blumen für die Damen, Claudio Abbado tritt höflich beiseite – und ist damit für einen Augenblick gut zu sehen: Jubel brandet auf, im Haus für Mozart.

Von Heidemarie Klabacher

alt1996/Gustav Mahler Jugendorchester/Schönberg/Gurre-Lieder – erinnert das Archiv der Salzburger Festspiele. Nun hat Claudio Abbado mit dem Orchestra Mozart Bologna sein Salzburg-Comeback gefeiert. So zurückhaltend der 1933 in Mailand geborene ehemalige Scala-Chef, Generalmusikdirektor der Stadt Wien und Wien-Modern-Gründer den Applaus entgegen genommen hat, so zurückhaltend hat er sich in den Dienst der beiden geistlichen Kompositionen, Mozarts „Waisenhaus“- und Schuberts Es-Dur-Messe, gestellt.

Immer wieder überraschend ist die Begegnung mit dem KV 139 des zwölfjährigen Mozart. Das groß angelegte Werk mit Pauken und Trompeten, erstaunlichen Modulationen, affektvollen Mini-Arien für die Solisten und effektvollen Chorpassagen will so gar nicht den Bildern entsprechen, die der Titel „Waisenhausmesse“ (geschrieben 1768 in Wien für die Eröffnung des Waisenhauses am Rennweg) weckt. Von wegen keusche Kindersoprane in reinen Terzen: Allein der düstere Bläser-Satz, der das „Crucifixus“ einleitet, ist Filmmusik für jedes blutige Mittelalterepos. Die Klarheit der „Sanctus“-Rufe führt über schier moderne Modulationen je nach Sichtweise zur Transzendenz oder zum Zweifel über die Worte „Dominus Deus Sabaoth“.

Diesem Jugendwerk stellte Claudio Abbado das Spätwerk eines ebenfalls „früh Vollendeten“ gegenüber. Auch die Messe Es-Dur D 950 von Franz Schubert ist inhaltlich keine „g’mahte Wiesen“, verkündet nicht jubelblind abstrakte Dogmen. Dass Schubert zentrale Stellen im Credo (etwa „Ich glaube an die eine heilige katholische apostolische  Kirche“) gerne zu vertonen vergisst, ist dabei das wenigste. Die Zweifel liegen tiefer, die schubert’schen Abgründe lassen auch in der Sakralkomposition auf Menschenqual blicken.

Mitreißende Übergänge vom Forte zum Pianissimo verbinden überirdisch schöne und trostreiche Linien mit unheimlichen und bedrohlichen Eruptionen, meist innerhalb weniger Takte, wie etwa im Gloria zwischen „Qui tollis peccata Mundi“ und „Misere nobis“. Die leisen Paukenwirbel, die sich leitmotivisch durch das Credo ziehen, verheißen nichts Gutes…

Claudio Abbado hat in beiden Werken die Zuhörer eingeladen, ihm quasi über die Schulter zu schauen. Er hat die Partitur - mit gemäßigten Tempi und Zurückhaltung in der Lautstärke – bis in die Linien der einzelnen Orchesterstimmen transparent und durchhörbar gemacht. Das Orchester Mozart Bologna hat ebenso kundig, wendig und klangschön auf feinste Anregungen Abbados reagiert, wie der Arnold Schoenberg Chor, der ein wenig abgeschatteter, ja dunkler im Gesamtklang wirkte als gewohnt.

Rachel Harnisch war die solide Sopransolistin in der Schubert-Messe. Roberta Invernizzi sang mit ständig wechselndem Stimmsitz das Sopransolo in der Mozart-Messe. Technisch und klanglich überzeugend - und Ton in Ton mit dem Zugang Abbados – sangen die Altistin Sara Mingardo, besonders der Tenor Javier Camarena sowie der Bass Alex Esposito. Den zweiten Tenor in Schuberts „Et incarnatus est“ sang Paolo Fanale.

Gut, bei den „Cum Sancto Spiritu“- und sonstigen Chorfugen hätte man sich wirklich etwas mehr zupackenden Drive gewünscht. Wie überhaupt ein „historisch-informierter Zugang a la Harnoncourt gerade bei zwei so vielschichtigen Werken wünschenswert wäre. Aber man darf nicht Äpfel mit Zwetschken vergleichen. Claudio Abbado hat mit seiner klassischen - auch die Abgründe vergoldenden - Interpretation zum aufmerksamsten und gespanntesten Zuhören angeregt. Eine packende und berührende Wieder-Begegnung.

Das Konzert wurde auch im bild aufgezeichnet und wird am 29. Juli um 14.05 Uhr auf Arte ausgestrahlt
Bild: SF / Silvia Lelli

 

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