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Zugabenstücke mit Überlänge

FESTSPIELE / KLANGFORUM WIEN / GARAN?A

01/08/12 So macht „Salzburg Contemporary“ rundum glücklich: Kein Stück näher als 25 Jahre an unserer Zeit dran, die meisten in sicherem Abstand von einem halben Jahrhundert und mehr entstanden. Und dann noch Elina Garan?a zum Versüßen eines Berio-Gassenhauers!

Von Reinhard Kriechbaum

altNachdem die Garan?a am Dienstag (31.7.) in der Kollegienkirche Berios „Folk Songs“ aus dem Jahr 1964 gesungen hatte, war Pause. Das war unvorsichtig programmiert, denn nicht wenige Leute sahen ihr individuelles Hörpensum erfüllt und es blieben fortan viele Plätze frei. Schade, denn es folgten ja noch einige Stücke, die unterdessen zum Kanon der Musik aus dem 20. Jahrhundert (wohlgemerkt: nicht „contemporary“!) rechnen: „Dérive 1“ von Pierre Boulez zum Beispiel, dicht gewebte, auratisch instrumentierte Kammermusik, bei der das „Klangforum Wien“ seinem Namen wieder einmal alle Ehre machte.

Auch „Chain I“ von Witold Lutoslawski ist ein Vorzeigestück (ein Jahr vor dem Werk von Boulez, 1983, komponiert). Da geht es darum, dass Aleatorik und Wollen des Komponisten durchaus unter einen Hut zu bringen sind. Immer wieder verselbständigen sich die Instrumente einzeln oder in Gruppen, das Cembalo zirpt und das Xylophon klappert frei, die Streicher lassen Pizzicati verduften – doch dann mischt sich der Dirigent wieder entschieden ein und gibt das Aviso zu impulsiven Tutti-Passagen.

Das ist Musik, so mehrheitsfähig, dass sie getrost frühmorgens aus dem Radiowecker tönen dürfte. Und das gilt noch viel mehr für das restliche Programm: Lutoslawski hat eine reißerische „Mini-Ouvertüre“ für Blechbläserquintett geschrieben, neoklassizistisch angehauchte Tanzpräludien (Preludi taneczene) für Kammerensemble und „Drei Fragmente für Flöte und Harfe“, die auch wie Butter ins Ohr fließen. Überhaupt: Es war zwar ein Konzert mit Überlänge, aber es war lustvoll zusammengepuzzelt vorwiegend aus Zugabenstücken des vorigen, also: des 20. Jahrhunderts. Luigi Dallapiccolas „Piccola musica notturna“ macht da auch keine Ausnahme. Dallapiccola verstand sich ja drauf, wundersam melodiös und liebenswürdig zwölftönig zu schreiben.

Der Italiener Niccolò Castiglioni (1932-1996) ist aus den Konzertprogrammen völlig verschwunden. Das Urteil der Geschichte hat über ihn wohl ihr erbarmungsloses Urteil gefällt. Sein Kammerensemble-Zyklus „Risognanze“, eine Folge von fünfzehn Ultra-Miniaturen, kommt als etwas grell und vordergründig instrumentiertes Sammelsurium von  Charakterstücken daher. Spaltklänge, signalhafte Akzente , keine Angst vor Banalitäten. Von Webern’scher Ästhetik kann man im Programmheft darüber lesen, aber gerade den Vergleich mit Anton Weberns Verdicht-Kunst sollte man lieber lassen, das überleben Castiglionis Stücke nicht.

Und im Zentrum also: Elina Garan?a, so gar nicht als „Diva“, sondern als eine, die mit Feingespür und Zurückhaltung Luciano Berios „Folk Songs“ vorstellte. Schlicht und charismatisch, nicht einmal zu viel an Gestaltungswille, aber raffiniert gestaltend in den geträllerten Refrains. Ein eigenes Kapitel ist in diesem Stück der Ton-Satz, die pikant-raffinierten Kolorierungen und hintersinnigen Verfremdungen. Denen waren die Musiker vom Klangforum Wien beste Anwälte, und Pablo Heras-Casado hatte das alles rhythmisch bestens im Griff. Der junge Dirigent, in vielen Stilen daheim, hatte heuer in der Mozartwoche in Salzburg debütiert. Es bestätigte sich nun der Eindruck, dass er ein ungemein flexibler Musiker mit sehr klaren gestalterischen Ideen ist.

Hörfunkübertragung am Montag, 6.8., um 23.03 in Ö1
Bild: SF / Silvia Lelli

 

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