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So tanzt der Teufel selbst!

FESTSPIELE / GEWANDHAUSORCHESTER / RICCARDO CHAILLY

31/08/12 Das Staccato ist gleichsam zum System erhoben in Riccardo Chaillys Sicht auf Gustav Mahlers „Sechste“. Das Werk wird oft als „Tragische“ bezeichnet, in diesem Fall könnte man es „Die Unerbittliche“ nennen. – Ein Konzerthöhepunkt noch am Ende dieses Festspielsommers.

Von Reinhard Kriechbaum

Auftrittsapplaus, doch aus der Kulisse trat nicht der Dirigent, sondern der Intendant, um ein wenig Geschichte kund zu tun. In der Tat ist es mehr als ein Vierteljahrhundert, exakt 26 Jahre her, dass das Gewandhausorchester Leipzig bei den Festspielen zu Gast war. Damals dirigierte eines der beiden Konzerte der legendäre Gewandhauskapellmeister Kurt Masur, das andere – wie Alexander Pereira sagte, auf spezielle Einladung von Karajan – der junge Riccardo Chailly. Nun also ist der Italiener, der zwischenzeitlich natürlich oft in Salzburg dirigierte, selbst Gewandhauskapellmeister.

Das mag ein altertümelnder Titel sein. Doch in einer Zeit, in der kapellmeisterliche Tugenden nicht so hoch gehandelt werden im eiligen Musikbetrieb, lohnt ein Augenmerk darauf. Riccardo Chailly füllt den Job aus, auch handwerklich. Was nicht ausschließt, dass er am Pult nicht auch eine respektable Show abzieht. Er dirigiert eben für Musiker und für das Publikum – und für die Sache. Womit wir bei Mahlers „Sechster“ und einer so packenden wie im Detail brillant gearbeiteten und mithin viel sagenden Interpretation wären.

Wie von einer extrem gespannten Feder eines Uhrwerks getrieben ließ Chailly am Donnerstag (30.8.) im Großen Festspielhaus die Marschrhythmen des Eröffnungssatzes hervorschnellen. Es war wie das Ziehen der Bilanz über den symphonischen Ist-Zustand am Beginn des 20. Jahrhunderts, ein grammatikgenaues Deklinieren des Mahler’schen Vokabulars. Lebensfreude zuerst, in die sich erst die kleine Trommel und dann die bizarren Farben der Holzbläser wie mahnende „Jedermann“-Rufe hineinschleichen, bis das Xylophon losklappert als tönendes Memento Mori. Was dann noch folgt im Lauf dieses aufrüttelnden Symphoniesatzes: martialisch entfesselte, imaginär existenzbedrohende Marsch-Passagen.

Riccardo Chailly legte dann eine auffallend lange Pause ein zum langsamen Satz hin (so wie dann noch einmal vor dem Finale). In diesem Andante schienen ihm die Bläser jeden Klangfarbenwunsch von den Lippen abzulesen. Sie setzten die so charakteristischen kleinen Schärfungen sonder Zahl in gebotener Deutlichkeit, aber auch geschmeidig um: nachhaltige Botschaften von der Gefährdung. Nur scheinbar gibt es Oasen der Ruhe und Sanftheit. Ganz deutlich herausgearbeitet erschien das sich leitmotivisch durch alle Sätze ziehende Chroma der vier Flöten plus Solo-Oboe (ein famoser Musiker am ersten Pult!).

Doch dann das entfesselte Schicksal – oder die Machtübernahme durch dämonische Zug- und Schubkräfte. So, wie Chailly das „wuchtig“ überschriebene Scherzo angeht, tanzt der Teufel persönlich, mit diabolischer Hinterhältigkeit noch in scheinbar duftigen, leichtfüßigen Wendungen, voll deutlich herausgearbeiteter Fußangeln, beängstigend bis zu den allerletzten Kontrafagott- und Kontrabass-Tönen. Und dann also hinein in den vierten Satz, in dem all das noch einmal mit ganz erstaunlicher Orchesterdisziplin und akkurat ausgefeilter Klanglichkeit im Wortsinn „durchgespielt“, vertieft und mit entfesselter Energie verschärft wurde. So schonungslos expressiv war Mahler ja nie vorher und selten nur nachher. Riccardo Chailly und das Gewandhausorchester haben da ein aberwitziges Sittenbild der Hölle geliefert, einen Marsch in die absolute Bodenlosigkeit.

Gut eine Viertelminute Schweigen im Saal, bis der Beifall aufbrandete: Da ist wohl eine Botschaft angekommen, denn üblicherweise wird in Salzburg ja doch Sekundebruchteile nach dem Schlussakkord losgepascht.

Bild: SF / Wolfgang Lienbacher

 

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