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Tanz über Vulkanen

FESTSPIELE / CONCERTGEBOUWORKEST / MARISS JANSONS

02/09/12 Das Concertgebouworkest Amsterdam hat Béla Bartóks 2. Violinkonzert anno 1939 aus der Taufe gehoben und verfügt über eine größere Mahler-Tradition als die philharmonischen Kollegen aus Wien oder Berlin. So war das Programm des Festspiel-Gastspiels eine „sichere Bank“, sollte man meinen.

Von Gottfried Franz Kasparek

Vor der Pause erfüllte sich diese Hoffnung allerdings nur bedingt. Nicht, was das Orchester betraf. Mariss Jansons sorgte am Pult für differenzierte Begleitung, auch wenn etliche Wackelkontakte mit dem Solisten verblüfften. Der Solist war Leonidas Kavakos, der wie so oft gemischte Gefühle hinterließ. Kavakos, nun mit Winnetou-Mähne auftretend wie ein Popstar, ist zweifellos ein Geiger von Weltklasseformat. Er spielt mit schlankem, stets in sich gefestigtem Ton. Er kennt keine technischen Probleme, lässt sie zumindest nie hörbar werden. Die lyrischen Sequenzen in Bartóks Konzert kann man kaum edler interpretieren.

Aber ist die von aggressivem Faschismus geprägte Entstehungszeit in diesem Stück wirklich nur in den mitunter scharfen, ja verstörenden Einwürfen des Orchesters vorhanden? Wäre da nicht auch in der Solostimme oft mehr an Akzentuierung, an durchaus schrofferer Tongebung wünschenswert? Bartók, der damals nur mehr seiner todkranken Mutter zuliebe in Ungarn verblieben war, mag in vielen Sequenzen des mehr rhapsodischen als klassisch durchgearbeiteten Stücks die Vision einer besseren Welt vorgeschwebt sein – aber doch nicht durchgehend und nicht in den dramatischen Läufen der Ecksätze. Kavakos bietet leider in seiner derzeitigen Verfassung nur eine Seite der Medaille, nämlich die, welche oft zu schön ist, um wahr zu sein. Das Publikum war damit zum Großteil zufrieden und wurde mit stupender Paganini-Virtuosität bedankt.

Welch ein gewandeltes Bild jedoch nach der Pause! Die nicht enden wollenden Ovationen und „standing ovations“ nach der Aufführung von Gustav Mahlers Erster Symphonie waren in jeder Hinsicht berechtigt. Das niederländische Eliteorchester musizierte in allen Gruppen vollends seinem Ruf gerecht, zu den besten Klangkörpern der Welt zu gehören. Faszinierend, wie Mariss Jansons die Spannung am Beginn bis zur ersten klanglichen Explosion halten kann, grandios, wie das skurrile Scherzo bei aller Lautstärke transparent bleibt, wundersam und tief berührend, wie Jansons und sein Orchester die duftigen und dennoch bedrohlichen, im besten Sinne volkstümlichen und abgründigen Genreszenen des „Todtenmarsches in Callots Manier“ ohne jegliche Sentimentalität, aber voll Gefühl ausmalen.

Ganz egal, ob man sich an Mahlers später gestrichenes Programm nach Jean Paul halten will oder nicht – dies ist Musik, die ans Innerste des Menschen rührt und gleichzeitig die Abgründe des 20. Jahrhunderts und von dessen musikalischer Entwicklung öffnet. Jansons versteht es, Mahlers tönenden Kosmos ohne Bombast, aber mit der nötigen Dosis Pathos umzusetzen. Das berauschende Erlebnis immer noch aufregend neuer Klangfarben kommt ebenso wenig zu kurz wie die kammermusikalische Textur, die weite Teile des Stücks auszeichnet. Dass der Finalsatz ursprünglich nach Dantes Inferno benannt gewesen ist, wurde in dieser bis zum Zerreißen gespannten, Extreme auslotenden Darstellung völlig verständlich. Auch Mahlers blechgepanzerter Jubel tanzt immer über Vulkanen.

Bild: SF / Wolfgang Lienbacher

 

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