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Eine Finsternis, die heißt: ohne Liebe

 

FESTSPIELE / YDP / HINKEMANN

01/08/14 Das hat ja nicht gut gehen können im katholischen Bayern: Ernst Toller(1893-1939) war für ultrakurze Zeit als Mitglied der Münchner Räterepublik eine Art politischer „Betriebsunfall“. Vielleicht war er das ja auch als Theaterdichter und wird deshalb kaum mehr beachtet.

Von Reinhard Kriechbaum

Im Gedenkjahr für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist das Heimkehrerdrama „Hinkemann“, mit dem nun in Salzburg das Young Director’s Project begann, aber das Stück der Stunde.

Eugen Hinkemann hat an der Front seine Männlichkeit eingebüßt. Ein Krüppel also im Verborgenen, denn darüber spricht man nicht. Es reden nur alle drüber und lachen. Wie, so wird Hinkemann einmal fragen, geht die Gesellschaft mit Krüppeln um, „die gesund sind, aber krank in der Seele“? Nicht die Liebe seiner Frau, die Selbstachtung hat er zuerst eingebüßt. Keinem Lebewesen würde er, der Geschundene und Gezeichnete, etwas zuleide tun. Aber er muss sich doch des Geldes wegen verdingen am Jahrmarkt, als der urdeutsche Kraftlackel, der Mäuse und Ratten frisst. Hinkemann ist mithin einer, der, um wenigstens seine Haut zu retten, seine blessierte Seele verkaufen, zur Schau stellen muss. Der Tragöde wird zur Lachnummer.

Ernst Toller, selbst schwer vom Krieg traumatisiert, schrieb 1922 dieses expressionistische Drama. Der 28jährige saß da gerade in politischer Haft und hatte viel Zeit, nachzudenken über persönliches Schicksal und die Kräfte, die beständig darauf eindreschen. „Hinkemann“ ist die große Abrechnung geworden mit Gott und der Welt, gefasst in marktschreierischen und dann doch wieder erschreckend altersweise Sentenzen. Krasse Überzeichnung einerseits, andrerseits geradliniger politscher Agitprop, Bänkelsängerei à la Brecht und Ringen um eine dramatische Form: ein besonderes, ein krasses Stück, dem die Vergangenheit nicht gehört hat und die Gegenwart wohl nur gerade jetzt, im Gedenkjahr.

Der junge serbische Regisseur Miloš Lolić ist im Vorjahr in Wien mit einem Nestroy ausgezeichnet worden für seine Inszenierung von Wolfgang Bauers „Magic Afternoon“ im Volkstheater. Er ist wohl der Richtige für einen solchen überkochenden Theatertext. Ihm gelingen deftige Szenen und er lässt schon auch ordentlich krakeelen – aber im Handumdrehen weiß er Stimmungen zu beruhigen, Szenen zu konzentrieren. Da steht dann Hinkemann (Jonas Anders) allein da oder still vor seinem Gegenüber. Da ist dann Raum für Reflexion, und die lautstarken Anklagen weichen jäher Erkenntnis des Unausweichlichen. „Die Menschen morden im Lachen“, sagt Hinkemann, kurz bevor er sich aufhängt.

Auf engstem Raum, auf dem blechernen Gerippe eines Karussells lässt Miloš Lolić spielen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler sind immer um die Wege, ungebetene Beschauer des Privaten, nicht auszugrenzende Öffentlichkeit. Grete, Hinkemanns Frau, ist das erste Opfer. Katharina Schmidt ist dieses Energiebündel, das schier nicht weiß, wohin mit all der Lebenskraft. Freund Paul (Daniel Christensen) hat leichtes Spiel bei ihr.

Max Knatsch, Sebaldus Singegott und Genosse Unbeschwert: Das sind drei Figuren, die wie Allegorien für die damals konkurrierenden politischen Ansichten stehen. Keiner der drei hat Antworten, die das Los des Eugen Hinkemann lindern, ihm eine Perspektive in die Zukunft öffnen könnten. Auch da krasses Spiel, und auch wieder viele Momente des Innehaltens. Reflexion ist in dieser Aufführung erwünscht, auch wenn sie die Schwächen des Stücks aufdecken. Miloš Lolić hat den Text komprimiert (auf anderthalb Stunden ohne Pause), und das ist gewiss gut so.

Eine zentrale Szene: Hinkemann im Dialog mit seiner Mutter (Irene Kugler), die ihrerseits gezeichnet ist von der Vergangenheit, die sie soeben wieder einholt. Was war das Schlimmste, will er wissen von ihr. Das Verlacht-Werden. Aber die eigentliche Antwort hat Hinkemann schon einige Szenen zuvor gegeben: „Da ist eine Finsternis, die heißt: ohne Liebe.“

„Hinkemann“, der erste von vier Beiträgen zum Young Director’s Project der Festspiele, das heuer zum letzten Mal stattfindet, ist eine Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus. Ein starker Auftakt, zu sehen noch von 1. Bis 3. August, jeweils um 20 Uhr im „republic“ – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Sebastian Hoppe

 

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