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Hurra, wir lieben noch

FESTSPIELE / DON JUAN KOMMT AUS DEM KRIEG

18/08/14 Laut Mozart/Da Ponte waren es allein in Spanien eintausendunddrei. In Inflationszeiten muss es sparsamer hergehen, bei Ödön von Horváth sind fünfundzwanzig Frauen hinter jenem Don Juan her, der dem Ersten Weltkrieg entronnen ist. Andreas Kriegenburg, der Ödön von Horaths „Don Juan kommt aus dem Krieg“ auf der Halleiner Pernerinsel inszeniert hat – seine erste Regiearbeit für die Festspiele – schickt deren neun ins Rennen.

Von Reinhard Kriechbaum

Aber auch, wenn man die Damen an den Fingern beider Hände abzählen kann, ist das zu viel für einen, der geläutert daher kommt, als Suchender. Als Suchender speziell nach der Einen, die keinen seiner Briefe aus dem Feld beantwortet hat. Bei ihr fühlt er sich tief in Schuld. Dass sie längst gestorben ist, wissen wir, das Publikum, nicht aber der Titel-Antiheld, der querfeldein getrieben wird von all denen, die noch amouröse Rechnungen mit ihm offen haben. Und von all den Gegenwarts-Hungrigen, die sich Zukunft erwarten von und mit Don Juan.

Wie die Lemuren tauchen sie auf, krempeln sie den Vorhang ein Stück hoch, der ihnen dann in etwa so in die Hände fällt wie dieser fast bockig da stehende Don Juan (da trägt er sogar noch Helm und Gasmaske). Ein Kriegslied haben die Frauen auf den Lippen. „Im Feld, da ist der Mann noch was wert“ oder „Der Soldat allein ist der freie Mann“ heißt es da. Sie glauben sehr genau zu wissen, aus welchem Holz ein Mann geschnitzt sein soll. Auch wenn ihnen dieser da, den auf der Pernerinsel Max Simonischek spielt, eher in der sägerauen, ungefassten Variante entgegen kommt.

Andreas Kriegenburg lässt die Spielfläche total offen. Das Bühnenbild hängt an am Plafond: Es sind tausende an Schnüren aufgefädelte Feldpostkarten. Ziemlich am Beginn klettern die Frauen auf Stehleitern, um diesen und jenen Satz-Fetzen zu erheischen. Dieser Theatermann ist bekanntlich nicht verlegen um suggestive Bildlösungen (manchmal am Rande zur Plattheit). Wie fern die echten Männer sind, wird sofort sonnenklar, auch wenn es beständig schneit aus den großen Walzen, die offen über der Szene sich drehen wie bedrohliche Maschinenwerke.

Aber da ist ja das Mannsbild. Es steht für das Manns-Bild, das sich die Frauen von einem Mann machen. Die schwarzen Kleider werden sie sogleich ablegen, zugunsten jener raffinierten Kostümkreationen, die sich Andrea Schraad ausgedacht hat. Kleider und Kleidchen, die schnell gelüftet sind. Aber die Gesichter dieser liebestollen Lemuren bleiben (zu) weiß, die Lippen (zu) rot geschminkt. In Ernst Tollers „Hinkemann“ haben wir bei diesen Festspielen ja schon einen quasi untoten Heimkehrer erlebt. Mit Toller könnte die Ödön von Horvath’sche Damenwelt kollektiv ausrufen: „Hurra, wir leben noch“, oder umgemünzt: „Hurra, wir lieben noch“! Aber eben ausgehungert, mit hoffnungslos deformierten Lebensperspektiven.

Wenn diese Frauen – im Programmheft firmieren sie wirklich nur als „und die Frauen“ – sich also ins neue Leben stürzen, ist das eine mehr als bizarre Angelegenheit. Genau da setzt Kriegenburg an, das führt er vor in einer Bilderrevue, die sich leicht einkochen lässt aus der buntscheckigen Szenengirlanden der Vorlage. In einem Raum, der keine Wände und Türen kennt, sind immer alle da, können beobachten, sich einmengen. Da herrscht Dauer-Turbulenz, weil die Szenen tollkühn verschnitten sind.

Kriegenburg setzt ganz entscheidend auf die Musik – auf jene der Sprache wie auch aufs Sound-Design (Wolfram Schild, Martin Sraier-Krügermann), das sich nachdrücklich einprägt. Was für vokale Zirkusnummern verlangt Kriegenburg von den neun Darstellerinnen, von der Mickeymousestimme bis zum orgelnden Alt die gesamte Skala. Da werden Dialogteile in rasender Folge wiederholt, Wörter bleiben bei gewissen Konsonanten stecken. Stimmliche Kammermusik steigert sich gelegentlich zum grellen Getöse. Dazwischen bizarre Szenen, etwa ein Opern-Karaoke. Der starken, grellen, karikaturhaft überdrehten Bildwelt steht eine mindestens so turbulente Hörwelt gegenüber. Viele Sentenzen kommen marktschreierisch daher, aber dazwischen weiß Andreas Kriegenburg, Theaterpraktiker wie wenige, auch in Sekunden zu beruhigen. Dann stehen da plötzlich Menschen, die das Mensch-Sein irgendwie verlernt haben – oder (wie es Don Juan einmal formuliert) „nicht dran erinnert“ werden wollen.

Bravourös schlagen sich „die Frauen“, die ja nicht nur schauspielern, sondern auch ihre eigenen Requisiteurinnen sein müssen. Von einer Rampe hinter der Spielfläche werfen sie einander Requisiten und Gewänder zu. Markante Szenen – viele. Aber das Lob muss dem Team als Ganzes gelten: Sonja Beißwenger, Olivia Grigolli, Sabine Haupt, Traute Hoess, Elisa Plüss, Nele Rosetz, Janina Sachau, Natali Seelig, Michaela Steiger. Jede Einzelne für die jeweilige(n) Rolle(n) wunderbar gecastet.

Und Don Juan? Völlige Nebenfigur, betont Andreas Kriegenburg im Programmheft-Interview. Unbeholfen steht er da, uncharmant gibt er sich. Max Simonischek hat da durchaus seine Probleme, sich zurück zu nehmen. Einmal redet es sich so richtig in Rage, wenn es darum geht, dass Krieg ein Produkt der Lüge ist. Da geht man weit über Ödön von Horváth hinaus.

Hoffnungslos in der Kälte bleibt Don Juan bekanntermaßen. Kriegenburg setzt da noch eins drauf, jede der Frauen hat ihren finalen Auftritt und schmeißt ihm noch weißes Pulver um die Ohren, und dann zerren sie noch Eisblöcke auf die Bühne, um dem Idol wohl ein recht eisiges Grab zu bereiten, in dem er sich doch wohlig warm fühlt. Letztes optisches Spektakel einer bild- und tonmächtigen Aufführung, die hinter all der Betriebsamkeit dann freilich eine fokussiertere Interpretation vermissen lässt. Um die stiehlt sich Andreas Kriegenburg herum – aber damit ist er vielleicht der literarischen Vorlage so fern nicht: Auch Ödön von Horváth zeigt uns ja Leute; die quasi sich selbst verloren haben im Krieg.

Aufführungen bis 27. August auf der Pernerinsel – www.salzburgerfestspiele.at

 

Bilder: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

 

 

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