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Der Künstler behält Oberhand

FESTSPIELE / BERLINER PHILHARMONIKER / SIR SIMON RATTLE

31/08/15 Nicht alle Tage passiert es, dass dem Solofagottisten eines Orchesters Bravo-Rufe entgegen schallen. Jener der Berliner Philharmoniker hat sie im letzten Orchesterkonzert dieser Festspiele, am frühen Sonntag Abend (30.8.) auch wirklich verdient.

Von Reinhard Kriechbaum

Sie waren für ihn ebenso angebracht wie für den Kollegen am Englischhorn oder die beiden Piccoloflötisten – und eigentlich für alle, die aus der Vierten Symphonie von Dmitri Schostakowitsch ein tönendes Bilderbuch der Sonderklasse gemacht haben. Das Werk umgibt eine besondere Aura, war es doch jenes, dessen Uraufführung nach der ersten vehementen Maßregelung des Komponisten von den Kunst-Doktrinären unterbunden wurde. Stalin hatte zuvor die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ besucht und entschieden zu avantgardistisch befunden. 1936 wäre Schostakowitsch mit der „Vierten“ fertig gewesen. Bis 1961 hat es schließlich gedauert, bis sie das Publikum in der Sowjetunion tatsächlich hören durfte. Man macht sich heute nur mehr schwer eine Vorstellung von den Repressalien gegen Künstler wie Schostakowitsch, denen man „Formalismus“ vorgeworfen hat.

Die „Vierte“ fordert geradezu auf, Dinge hinein zu interpretieren. Mit dem Wissen um die verhinderte und dann ein Vierteljahrhundert verspätete Uraufführung ist man gerne bereit, sie als ein offenes Bilderbuch zu lesen über die Widerstandskraft und Unbeugsamkeit des freien Künstlertums. Ob sich das für den dreißigjährigen Schostakowitsch damals auch so darstellte, bleibe dahingestellt. Jedenfalls haben es die Berliner Philharmoniker, hat es Sir Simon Rattle uns ganz leicht gemacht, in diese Richtung zu denken.

Vielleicht haben die charmant-frechen Harlekine das leichtere Leben als die rabiaten Haudegen? So könnte man eine burleske Episode im ersten Satz auslegen. Bei Stalin hatten die Kunst-Kasperln aber bestimmt nichts zu lachen, denn die kecke Ironie wird weggefegt von einer furchterregend sich aufbauschenden Streicherfuge in beängstigend rasanten Notenwerten. Sie ergreift Besitz vom ganzen Orchester und vor allem vom Schlagwerk. Es geht martialisch zu.

Aber irgendwie sind die Freiheitsgeister ja doch nicht klein zu kriegen. Der erste Satz endet mit einer vorlauten Wortmeldung des Solofagotts (einer von vielen), energieversorgt von den Pizzicati der Kontrabässe und im Pianissimo untermalt vom Tamtam. Ist auch im ausufernden Finale das gegenüber den Machthabern vogelfreie, aber sich trotzdem frei wie ein Vogel gerierende Individuum stärker als alles Fortissimo-Ungemach, das hereinbricht? Man hat in dieser plastischen und tonlich elastischen Wiedergabe gleichsam die spöttischen Grimassen der Individuen ausnehmen können: Die Soloklarinette mit den beiden Piccoloflöten ist so ein Optimismus-Gesicht, das aus dem dritten Satz mutig herausleuchtet. Ein anderes selbstbewusstes Konterfei imaginiert das Solocello, zu dem die beiden Harfen trittfeste Akkorde beitragen. Und klingt da nicht kurz Papagenos Flöte trotzig-karikierend auf? Man könnte ein paar Dutzend solcher Musik-Widerständler ausmachen.

Das Orchester hat jedenfalls keine Wünsche offen und keine Option zum Kolorieren ausgelassen, und Sir Simon Rattle hat das mit Mutterwitz angeführt, ohne die dräuenden Wolken in der Partitur auszublenden. Ein feines Panoptikum trotziger Selbstbehauptung.

Zwischen Schostakowitsch' „Vierter“ und Benjamin Brittens halbstündigen „Variations on a Theme of Frank Bridge“ op. 10 gibt es praktisch keine Berührungspunkte. Aber irgendwas muss man wohl spielen vor der Pause. Diese Variationen sind ein Jahr später – 1937 – entstanden, für eine Salzburger Festspielaufführung übrigens. Man suchte damals ein zeitgenössisches Stück englischer Provenienz und kam auf den 24jährigen, bis dahin nur ein paar Insidern bekannten Benjamin Britten. Er wurde dann rasch berühmt. Britten hantelte sich in den zehn Variationen durch Gattungen und Formen älterer Zeiten. Von der Opern-Romanze bis zum Walzer, von der parodistisch gefassten barocken Bourée bis zu Fuge ist alles anschaulich und mit einem Schuss Ironie beisammen.

Vielleicht fehlte es dieser Wiedergabe mit einem vergleichsweise riesigen Streichercorps ein wenig an Charme und leisem Hintersinn. Aber Power, weiß Gott, hatte diese von Rattle mit großer Geste angefeuerte Wiedergabe.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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