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London Ghost-Story

FILMKRITIK / ALL OF US STRANGERS

23/01/24 Andrew Haigh ist hierzulande eher Insidern ein Begriff. Von der internationalen Filmkritik wird der Brite gefeiert – für Kinofilme wie etwa Weekend oder 45 Years wie für seine TV-Serien Looking oder The North Water. Sein neuer Film All of us Strangers hat das Potenzial, dazu beizutragen, dass in Zukunft mehr Menschen auf ihn aufmerksam werden.

Von Andreas Öttl

Obwohl darin wie schon in Weekend eine Begegnung zwischen zwei Männern im Mittelpunkt steht, wäre es falsch, den Film in die (ohnehin zu hinterfragende) Queer Cinema Schublade zu stecken, denn vom Umgang mit Trauer bis zu Einsamkeit und Sucht verarbeitet der Film auf höchst originelle Art viele Themen und ist damit universeller als vergleichbare Filme.

All of us Strangersbasiert lose auf einem Roman des Japaners Taichi Yamada aus dem Jahr 1987, welcher 1988 bereits in Japan verfilmt wurde. Die Adaption von Andrew Haigh selbst trägt jedoch vor allem seine eigene Handschrift. Der Film wirkt auch nicht im entferntesten wie verfilmte Literatur, sondern ist vor allem pures Kino. Mit seiner intimen Atmosphäre, den stimmungsvollen auf 35mm gedrehten Bildern und dem hypnotischen Sound Design ist man als Zuseher bald gefangen genommen und lässt sich auf alles ein, woraufhin der Regisseur einen mitnimmt.

So akzeptiert man es auch bereitwillig als sich herausstellt, dass der einsame Schriftsteller Adam (Andrew Scott), der in einem anonymen Hochhaus in London lebt, immer noch mit seinen vor dreißig Jahren verstorbenen Eltern (im Film von Claire Foy und Jamie Bell dargestellt) in Kontakt ist und diese regelmäßig im Haus seiner Kindheit in der Vorstadt „besucht“. Er scheint immer noch nicht mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben und erst eine Begegnung mit seinem mysteriösen Nachbarn Harry (Paul Mescal) durchbricht den Rhythmus seines täglichen Lebens.

Es ist der behutsamen Inszenierung zu verdanken, dass mit dieser Geistergeschichte der anderen Art ein Balanceakt gelingt, der im Kino selten so gut funktioniert. Die filmische Umsetzung vermittelt einen konstanten Schwebezustand zwischen Traum und Realität, Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod. Ebenso verhält es sich mit den Schauplätzen im modernen London, welches zwar erkennbar ist aber ebenfalls gespenstisch wirkt. Die überzeugenden Hauptdarsteller erden den Film hingegen und tragen viel dazu bei, dass die Geschichte als wahrhaftig empfunden wird. Wie stark einem der Film dabei emotional nahe geht, mag von der Disposition des Zusehers abhängen – und manch einer mag den eher rauen Realismus von Weekend bevorzugen gegenüber einer gewissen, durch die magische und emotionale Überhöhung entstehenden Künstlichkeit in All of us Strangers. Ob die Darstellung der beiden homosexuellen Protagonisten als verlorene, vom Leben geplagte Seelen hilfreich ist für die Repräsentation dieser Bevölkerungsgruppe - darüber darf ebenfalls diskutiert werden. Nicht zur Debatte steht jedoch nach Filmkunst auf diesem Niveau dass Andrew Haigh nach wie vor einer der feinfühligsten Regisseure des Weltkinos ist.

Bild: Parisa Taghizadeh / Searchlight Pictures

 

 

 

 

 

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