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Intimfeinde vereint

PHILHARMONIE SALZBURG / FUCHS / KELLER

22/04/24 Russland und Finnland sind einander politisch auch heute noch nicht unbedingt grün. Musikalisch ist das anders. Sibelius' Zweite auf Tschaikowskys pianistischen Reißer folgen zu lassen war also durchaus sinnvoll. Nicht zuletzt, weil „Jungspund“ Elias Keller als Klavier-Solist alle Grenzen niederriss.

Von Horst Reischenböck

Es gibt Kompositionen, deren signifikanter Beginn von Haus aus nicht bloß Aufmerksamkeit, sondern spontan Wirkung garantiert. Dazu gehört eindeutig der Maestoso-Vierton-Abstieg des Tutti am Anfang von Pjotr Iljitsch Tschaikowskys Klavierkonzert Nr.1 b-Moll op. 23. Kaum zu glauben das Urteil von Anton Rubinstein, der für die Uraufführung vorgesehen war, es „taugt gar nichts, es lässt sich gar nicht spielen, die Passagen sind abgedroschen, plump und so ungeschickt, dass man sie nicht einmal verbessern kann“. Die Komposition sei schlecht und gewöhnlich, überall stoße man auf Teile, die von irgendwoher gestohlen seien: „Es gibt nur zwei oder drei Seiten, die stehen bleiben können, alles übrige muss vernichtet oder völlig umgearbeitet werden.“

Was Tschaikowsky glücklicherweise nicht tat. Der Erfolg, auch seiner Interpreten, gab und gibt ihm bis heute recht. So auch des erst 16jährigen, dabei längst international ausgezeichneten Mozarteum-Studenten Elias Keller aus Villach, der den Orchestereinstieg umgehend durch kraftvolle Akkorde beantwortete. Damit reihte er sich übrigens nahtlos in die Phalanx jener Kollegen, die nach wie vor nicht das seit 1955 bekannte Original des Urtexts ausführen, das für dieselben Noten Arpeggien vorsieht.

Sei’s drum. Keller perlte aus der Tastatur des Bösendorfer das Hauptthema des Allegro con spirito, das vermutlich von einer ukrainischen Vokalise herrührt. Auch für das Rondo-Finale lieh sich Tschaikowsky eine  Volksweise aus der Ukraine. Während die verspielten Arabesken im vorangegangenen Andantino, auf dessen Melodie zu Beginn Keller einen zärtliche Dialog mit der Soloflöte spann, von dem französischen Chanson Il faut s’amuser, danser et rire stammen.  Virtuosität, gepaart mit nachdenklich retardierend ausmusizierten Momenten setzte Keller technisch perfekt mit der Zugabe einer brillanten Don Giovanni-Paraphrase noch eins drauf. Stürmisch bejubelt.

Ob das so geplant war oder auch nicht: Jedenfalls lieferte der Pianist mit dieser Zugabe einen Bezugspunkt zur Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 43 von Jean Sibelius. Finnlands Begründer einer Nationalmusik wurde ja vom Arnold Schönberg-Jünger Theodor Adorno so dermaßen abqualifiziert, dass sich Aufführungszahlen seiner Werke im deutschsprachigen Raum immer noch in bescheidenen Grenzen halten. Sibelius, für den jede Sinfonie ein „Glaubensbekenntnis“ bedeutete, beschäftigte sich zum Zeitpunkt der Komposition in Italien mit Dantes La Divina Comedia und dem Don Juan-Stoff, was im Andante Niederschlag gefunden haben soll.

Vor allem ist seine „Zweite“ Sibelius’ letzte Sinfonie in formaler Anlehnung an Ludwig van Beethoven, etwa durch das zweimalige Trio im quirrligen Vivacissimo-Scherzo. Dem entsprach von der Besetzung her auch Elisabeth Fuchs, indem sie den gefordert zahlreichen Bläsern lediglich 21 Streicher auf dem Podium der Großen Aula vorsetzte. Ideal, absolut ausreichend, um alle instrumentalen Feinheiten vom Hörnerquartett bis ins Fagott-Duo hinein – und perfekt austariert ohne Überforderung der Raumakustik – genießen zu können. Das war ambitioniert musiziert, detailgetreu bis in den strahlend überhöhten, blech-gepanzerten finalen Ausklang. Für Sibelius’ Zeitgenossen war das klingender Patriotismus.

Wer mitgedacht hat, dem entschlüsselte sich auch die zündend fetzige Zugabe des Csárdás aus Tschaikowskys Schwanensee-Ballett als logisch. Gehören doch Finnisch und Ungarisch derselben Sprachfamilie an – auch wenn sie kein einziges Wort eint...

Bilder: PhS / Erika Mayer    

 

 

 

 

 

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