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Almrausch

KULTURVEREINIGUNG / ALPENSINFONIE

13/11/14 Geschätzte 99 komma irgendwas Prozent der Zuhörenden konnten sich nach den ersten paar Minuten entspannt zurücklehnen: Die Sonne geht tatsächlich genau da auf in Richard Strauss‘ Alpensinfonie, wo wir es bislang eh schon immer vermutet haben!

Von Reinhard Kriechbaum

Für Tobias Melles Fotoschau zur Alpensinfonie haben die Stuttgarter Philharmoniker sogar das Nacht-Gegrummel am Anfang dieses Werks auswendig gelernt, so dass sie es im Stockdunkel (bei nur schummrigem Spot-Licht auf den Dirigenten) spielen und so dem Sonnenaufgang zu besonderer Wirkung verhelfen konnten.

Besondere Wirkung: Das ist wohl das Ziel der „Visuals“ (so nennt man eine altmodische Diaschau auf Neudeutsch) des Münchner Musikers, Fotografen, Bergsteigers und Musik-Bebilderers Tobias Melle. Der Mann hat das Überblenden toll raus, und er hat vor allem Ohren. Klangliche Zurückhaltung war keine Tugend von Richard Strauss unn ist schon gar kein Kennzeichen der Alpensinfonie. Deshalb lässt Tobias Melle die Gesteinsmassen sich auftürmen, die Wolken in ihren eindrucksvollsten Formen sich zusammenbauschen. Es rauscht im Noten- und grünen Wald.

Melle hat aber auch Gespür fürs Kleine, für die Blüten und Blätterstrukturen, und an einer Almhütte interessiert ihn der davor sitzende Wurzelsepp (das einzige Menschenbild in den fünfzig Minuten) viel weniger als die graphischen Strukturen des Holzes.

In solchen Momenten ist man am Mittwoch (12.11.) im Großen Festspielhaus gewahr geworden, dass die musikalische Interpretation an diesem Abend deutlich geradliniger war als die Bebilderung: Die Stuttgarter Philharmoniker brachten unter der Leitung von Stefan Blunier Klangüppigkeit ein, weniger Strukturklang. Vielleicht wurde man aber auch nur von den starken Bildern, pardon, Visuals, zu stark abgelenkt von der Musik.

Einige pädagogische Erfolge sind zu verzeichnen: Nie zuvor habe ich in der Kuhglocken-Passage der Alpensinfonie nachgedacht über die gelben Marken mit Kennzahlen in den Ohren der Rindviecher. Die gleichen Zahlen stehen dann auch auf der Verpackung des Roastbeefs in der Tiefkühltruhe, aber das zeigt Melle natürlich nicht. Dass Kühe, laut sommerlichen Medienberichten für Touristen ur-gefährliche Geschöpfe, unterdessen flächendeckend entwaffnet worden sind, wurde einem sehr bewusst. Wie sie da friedlich und hornlos wiederkäuen!

Ach ja, eine Idee drängst sich schon auch noch auf: 1915 wurde die Alpensinfonie uraufgeführt. Da war gerade Erster Weltkrieg. Auf Strauss war in Krisenzeiten stets Verlass. In diesem Fall hat er sein Publikum mitgenommen ins Grüne. Wer wollte sich schon mit garstigen Gedanken an die Jetztzeit belasten? Eine Idee: Wenn schon Visualisierung dieses Werks, dann vielleicht nicht mit Bildern aus den Berchtesgadener Alpen, sondern aus den Dolomiten. In der Gegend des Falzarego-Passes und anderen Gebirgszügen nahe Cortina d’Ampezzo gibt es Relikte, die auch heute noch nachfühlen lassen, wie Alpenidylle in jenen Jahren tatsächlich ausgesehen hat. Das brächte vielleicht mehr Erkenntnis in Sachen Strauss und Alpensinfonie als die schönsten Naturbilder.

Vor der Pause, vor dem da noch geschlossenen Eisernen Vorhang: Mozarts große Es-Dur-Symphonie. Geradlinig und motivisch unartikuliert, unbelastet vom kleinsten Rubato. "Tönende Selbstgewissheit" ist der Programmheft-Beitrag dazu übertitelt. Wie wahr.

Das Konzert mit der Alpensinfonie-Visualisierung findet auch heute Donnerstag (13.11.) und am Freitag (14.11.) statt, jeweils um 19.30 Uhr im Großen Festspielhaus – www.kulturvereinigung.com
Video-Kostproben für sinfonische Visualisierungen von Tobias Melle gibt es auf www.tobiasmelle.de
Bilder: www.tobiasmelle.de

 

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