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Der Thomaskantor als Opernkomponist

OSTERFESTSPIELE / JOHANNESPASSION 

23/03/24 Bachs Passionen wurden schon oft mehr oder weniger gelungen vertanzt. In der kongenialen Version von Sasha Waltz entsteht in der Tat Musiktheater. Die Johannespassion ist ja ohnehin eine verkappte Oper, in der vor allem die Chöre pulsierend dramatischen Ausdruck finden.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die Choreographin und Regisseurin Sasha Waltz hält packende, gute zwei Stunden lang die Balance zwischen der sehr lutherischen Passionsgeschichte und einem allgemein gültigen spirituell aufgeladenen Menschheitsdrama. Wenn die „Jüden“ (fast eine barocke Form des Genderns) als grausamer Mob auftreten und zur Kreuzigung hetzen, sind sie stellvertretend für jegliche aufgeputschte Masse zu sehen. Diese Verirrung liegt ja leider in den Genen jedes Volks der Welt. Eingeleitet wird sie durch eine bedrohliche, elektronisch und mit krachenden Hölzern erzeugte Klangintervention von Diego Noguera. Die Felsenreitschule, fast im Naturzustand, punktuell und pointiert gestaltet mit Treppen, hölzernen Klötzen, Stangen und Bilderrahmen von Heike Schuppelius, verbirgt eine Spiegelung der Mutter Gottes mit Kind aus dem Isenheimer Altar Mathias Grünewalds, die nie komplett sichtbar wird. Zu Beginn treten nackte Menschen auf und nähen an Nähmaschinen die weißen Kleider, welche die archaische Kostümierung (Bernd Skodzig) dominieren werden.

Denn „wir kommen mit Nichts auf die Welt und gehen auch mit Nichts“, so Sasha Waltz. Die singenden Menschen auf der Bühne haben tanzende Ebenbilder. Die grandiose Lichtregie von David Finn schafft dazu immer wieder suggestive, gleichsam vom optischen Extrakt barocker Gemälde inspirierte Bilder. Mit größter Intensität gelingt es Sasha Waltz, ihre phänomenale Tanzgruppe mit den Chören (kraftvoll und klar: Choeur de Chambre de Namur und der Opernchor von Dijon) und sogar der zweigeteilten, Bachs herrliche, mit südlichen Farben versehene, oft wie neu klingende Musik zum intensiven Hörerlebnis machenden, 25köpfigen Cappella Mediterranea zu verschmelzen. Die Tanzenden spielen, die Singenden tanzen, Musizierende treten immer wieder von ihren Pulten ins Geschehen – besonders eindringlich der oft samt Violine und Bogen tanzende Geiger Yves Ytier.

Gespielt wird natürlich auf Originalinstrumenten, samt Gambe, Erzlaute und Theorbe, doch ohne Askese, sondern klangsinnlich und akzentreich. Leonardo García Alarcón leitet das musikalische Geschehen, stehend am Harmonium, mit beredten Gesten und mit größter Präzision, aber ebenso mit merkbarer emotionaler Hingabe. Er schafft es, sein Orchester auch in Bewegung befindlich und in völliger Dunkelheit auf Golgotha exakt klingen zu lassen. Die Chöre bespielen zum Teil schreitend und stehend die Gänge im Zuschauerraum, was machtvolle Quadrophonie hören lässt. So entsteht großes, faszinierendes Raumtheater, das mit seinen Gewaltszenen Gänsehaut erzeugt, das auf- und anregt und schließlich in einer weißen Vision friedlicher Erlösung endet.

Die Gesangssoli sind gegen Ende mitunter ein wenig anders als gewohnt eingeteilt, so singen der Evangelist und der offenbar schon auferstandene Jesus eine Art Dialog. Jesus ist mit baritonaler Würde und wie ein seriöser älterer Herr auftretend Christian Immler, fragil gespiegelt von seinem jungen, langhaarigen Ebenbild, vermutlich der Tänzerin Rosa Dicuonzo (wohl zum Großteil, denn die Spiegelbilder wechseln des öfteren die Identität).

Valerio Contaldo als ziemlich wortdeutlicher Evangelist darf auch oft herumwandern und singt, auch er alles auswendig, mit bestens gefügtem, fein timbriertem Oratorientenor. Sophie Junker erfreut in den Sopranarien mit ausdrucksvoll silbriger Lyrik, Mark Milhofer als sensibel artikulierender Charaktertenor. Der eher hell timbrierte Altus Benno Schachtner findet in der wundersamen Arie „Es ist vollbracht..“ zu tief berührender Schönheit. Und Georg Nigl, der Vielseitige mit einem Repertoire von Monteverdi über Johann Strauss bis Ligeti und Rihm, ist mit seinem ganz eigen geformten Bariton als Pilatus ein exzellenter Charakterdarsteller. Nach Momenten der Meditation kam es am Ende praktisch sofort zu stehenden Ovationen – nicht nur deshalb, weil es auf manchen Plätzen des Hauses auch eine Erlösung ist, sich endlich aus harter Enge erheben zu dürfen

osterfestspiele.at
Bilder: OFS / Bernd Uhlig

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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