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Auf den Zahn gefühlt

OSTERFESTSPIELE / CHOR-ORCHESTERKONZERT

03/04/12 Eine Reihe noch nie im Großen Festspielhaus gehörter Raritäten präsentierte Sir Simon Rattle am Montag (2. 4.) im Großen Festspielhaus. Murray Perahia, diese Saison „Pianist in Residence“ der Berliner Philharmoniker, glänzte als Solitär.

Von Horst Reischenböck

Gegen tumbes Auditorium kämpfen Ansagen vergebens. Wieder einmal wurde ausgerechnet der still verdämmernde Schluss von Robert Schumanns moll-getöntem  Nachtlied op. 108 durch ein Mobiltelefon akustisch garniert und in seiner Wirkung erheblich beeinträchtigt! Das Stück ist nicht nur ein Füller, um die erste Halbzeit auf eine Dreiviertelstunde zu strecken: In dieser leider nicht oft genug zu hörenden Trouvaille bediente sich Schumann zwar durchaus noch Beethovens klassischer  Orchesterbesetzung (hier mit vierzig aufgebotenen Streichern absolut ausreichend besetzt), stieß aber in Verbindung mit den Chorstimmen zugleich weit in Neuland vor – nicht nur bis Johannes Brahms. Gewidmet ist dieses bedeutende Chorwerk dem Autor Friedrich Hebbel, dem Schumann teil die Basis zum selbstverfassten Libretto seiner Oper „Genoveva“ verdankte.

Den Übergang vom Wachzustand in den Schlaf - immer ja auch ein kleiner Tod - formulierte Simon Rattle geradezu traumwandlerisch aus. Darin perfekt assistiert vom Rundfunkchor Berlin, den Simon Halsey auch ebenso exzellent auf das Requiem d-Moll op. 48 von Gabriel Fauré eingestimmt hatte. Wie die Damen und Herren die piano-Einsätze ins Offertorium ausführten war absolute Spitzenklasse – ebenso die da und dort eingestreuten Ausbrüche!

Der Vikar der Kirche de la Ste. Marie Madeleine in Paris erklärte Fauré nach der Uraufführung, solche Experimente seien unnötig. Verzichtete er doch auf die tönende Umsetzung des Jüngsten Gerichts und entsprach damit nicht dem Ritus katholischer Trauergottesdienste.

Erst die dritte Version (die auch beim Osterfestspielkonzert erklang), wusste zumindest im Konzertsaal Fuß zu fassen. Wie Fauré das Dies Irae gestalten hätte können, beweist seine kurze Umsetzung der entsprechenden Zeilen dann im Libera me. Nur ging es ihm eben genau darum nicht mehr: Vielmehr sollte, seinen Worten zufolge, der Tod „nicht als ein schmerzliches Erlebnis, sondern als willkommene Befreiung, ein Streben nach dem Jenseits“ begriffen werden. Dazu schuf er eine Musik, die mit Ganztonstufen, übermäßigen Dreiklängen und harmonischen Schwebezuständen ihre Fühler ebenfalls in die Zukunft ausstreckt. Das appelliert nicht nur ans Herz, sondern geht unter die Haut.

Zumal wenn ein Bariton wie Christian Gerhaher sowohl engagiert tonschön wie textverständlich artikuliert. Was von der Sopranistin Kate Royal nicht in gleichem Maße behauptet werden konnte - so gerne man sich ihr auch noch zuvor in Luciano Berios Tombeau „O King“ ergeben hatte. Man hätte das „Pie Jesu“ gerne einmal, wie in der Erstfassung gedacht, von einer Knabenstimme gesungen gehört. Auch Countertenöre gestalten diese kurze verinnerlichte Episode.

Zu einem ersten - wohl von allen als solchen empfundenen - Höhepunkt, war es schon vor der Pause gekommen: Murray Perahia fühlte Schumanns Klavierkonzert a-Moll- op. 54 einmal wirklich auf den Zahn. Er ritt schon im Kopfsatz virtuose Attacken und katapultierte sich in die Kadenz - in selten so zu erlebender dramatisch sinfonischer Zuspitzung. Die Berliner assistierten grandios mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Registern. Ein Sonderlob vor allem ihren in sich phänomenal abgemischten Holzbläsern! Und auch eine neue Erfahrung: Hier bestimmt einmal das Orchester, wie lange sich ein Solist am Jubel des Auditoriums erfreuen darf…

In zweiten Zyklus ist dieses Programm am Karsamstag (7.4.) um 19 Uhr im Großen Festspielhaus zu hören. - www.osterfestspiele-salzburg.at
Bild: www.murrayperahia.com / Felix Broede


 

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