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Dem Denken und der Seele den Grund entzogen

OSTERFESTSPIELE / ARABELLA

13/04/14 Man sage dem Werk nach, es sei „interpretationsresistent“ – so die Regisseurin Florentine Klepper im Programmheft-Interview über Richard Strauss‘ „Arabella“. Programmierte Kapitulation vor einer haarsträubend konstruierten Geschichte? So arg ist’s dann gar nicht.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Story muss man im Kopf erst mal aushalten: Heruntergekommener Adel. Zwei Töchter sind eine zu viel, um standesgemäß verheiratet zu werden. Also wird die Jüngere, Zdenka, in Hosen gepackt und zu „Zdenko“, dieweil alle elterliche Energie darein fließt, die Ältere, Arabella, so zu verheiraten, dass reichlich Marie rausschaut für die Familie. Fin-de-siècle in seiner grauslicheren Gestalt. In die Schar der gern oder weniger gern gesehenen Freier platzt ein etwas reiferer Typ, kerniger Landadel aus Slawonien. Der wird’s natürlich. Dieser Mandryka hat es, wie wir erfahren, kurz zuvor erfolglos mit einem Bären aufgenommen (vier gebrochene Rippen, bandagierte Hand). Auf dem Wiener Parkett bewegt er sich nicht minder unglücklich. Als es so aussieht, dass ihn Arabella schändlich hintergeht, obwohl die Ehe so gut wie ausgemacht ist, benimmt er sich, nobel gesagt, etwas rüpelhaft. Nach langwierigem Hin und Her versucht man’s doch mit Verlobung…

Interpretationsresistent, tja. Wäre da nicht die Musik, die akkurate Psychogramme der Figuren zeichnet und so die ur-doofe Geschichte deutlich relativiert. „Arabella“ ist 1933 uraufgeführt worden. Sowohl Richard Strauss als auch sein Librettist Hugo von Hofmannsthal betrachteten die Monarchie-Endzeit quasi im Rückspiegel. Der ist bekanntlich gewölbt und verzerrt ein wenig. Aber der Horizont ist geweitet. Die Dècadence der Epoche ist greifbar, weniger in der Story selbst als in jedem – wirklich in jedem und jeder – der Handelnden. Drum sind die Randfiguren ebebfalls wichtig: Und genau diese sind in der Salzburger Osterfestspiel-Aufführung handverlesen besetzt und präzis gezeichnet. Der schneidige Leutnant Matteo, der schier zerbricht an der hoffnungslosen Zuneigung zu Arabella – Daniel Behle singt ihn mit der Strahlkraft eines italienischen Tenors. Nur Stichwortbringer, aber punktgenau präsent auch die Brautwerber Elemer (Benjamin Bruns), Dominik (Derek Welton) und Lamoral (Steven Humes).

Natürlich ist die Fiakermilli als trällerndes Zwitschertäubchen mit kecken Anwandlungen zur Femme fatale ein Blick- und Hörfang: Daniela Fally bringt die Partie mit Effekt über die Rampe. So gar kein alter Haudegen: Albert Dohmen als Graf Waldner, ein präzis artikulierender, seine Stimme gut fokussierender Bass. So interessant kann ein „Teschek“ sein! Gabriela Benackova als Gräfin, Jane Henschel als Kartenaufschlägerin: optisch und sängerisch mehr als rollendeckende Partien.

Da ist also viel sängerischer Festspiel-Luxus, zu dem natürlich auch wirklich große Namen gehören. Renée Fleming ist die Arabella. Dass ihre Zeit für eine solche Mädchenrolle schon im Ablaufen ist, mag sie instinktiv spüren und sich deshalb zurücknehmen (wobei ihr die Regisseurin manch kostbare Hilfestellung auch in Mimik und Gestik mitgegeben hat). Die von all den emsigen Heirats-Anwärtern umwuselte Arabella träumt jedenfalls vom „Richtigen“. Und sie tut das im Ausdruck so, dass man es als Liebes-Sehnsucht „Fünf vor Zwölf“ empfindet. Gestalterisch und stimmlich zieht sie das konsequent durch – ein eigenständig gedachtes, gefühltes, eindrucksvoll eigenständiges Rollenbild.

Etwas diffuser geht der Befund aus, was Thomas Hampson und seinen Mandryka angeht: Der geeichte Liedgestalter versteht sich aufs Erzählen, aufs Differenzieren. Sein Timbre ist im Leisen und in den Mezzoforte-Kantilenen nach wie vor unverwechselbar. Den Bärentöter, den ungehobelten Sich-daneben-Benehmer nimmt man ihm freilich nicht ab. Und wenn es wirklich ans Eingemachte - ans Forte geht - kann er sich nicht immer durchsetzen gegen das Orchester.

Eigentlich sollte diese Salzburger „Arabella“ ja „Zdenka“ heißen. Die junge Deutsche Hanna-Elisabeth Müller drückt dieser Aufführung von vorneweg den Stempel auf. Zdenka, in einen grauen Herrenanzug gesteckt und (wie sich dann, bei der „Entlarvung“ des vermeintlichen Burschen zeigt) mit fest umzurrten Busent, steht ja als eigentlicher Teschek da: Sie muss zuschauen, wie sich die große Schwester bei der Wahl der Freier ziert, und ihre eigenen Gefühle als Frau hat sie zu verstecken. Das kostet erhebliche Mühe, weil sich in Zdenka ja ein respektabler Gefühlsüberschuss angestaut hat! Genau das, das Sich-Fügen und das spontane Aus-sich-Herausgehen, die Scheinheiligkeit der Triebunterdrückung und die Befreiung des sich anbahnenden Freud-Zeitalters: All das bringt Hanna-Elisabeth Müller einfach grandios rüber.

Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden: Ein großer Opernabend auch von dieser Seite, ein immer durchhörbarer, in den Bläserfarben hoch idiomatischer Klang – Unverwechselbarkeit, die selten geworden ist. Thielemann mischt mit Lust jene Pigmente an, die Richard Strauss für die Oberton-Färbelung der Vokal-Soprane und der Geigen so gekonnt bereit gestellt hat.

Ja, freilich: „Arabella“ ist in der Operngeschichte eines der Musterbeispiele für tönenden Anachronismus. Drum ist das Werk ja nie im Repertoire heimisch geworden. Aber schon mit dem Vorwurf der Kunsthandwerklichkeit wird man entschieden vorsichtiger, wenn man hört, was Thielamann und sein Dresdner Orchester, gleichsam per Du mit dem Strauss’schen Vokabular und seinen Instrumentierungs-Stehsätzen, an Psychogrammen entwickelt.

Womit wir endlich bei der Szene und der vermeintlichen „Interpretationsresistenz“ wären. Florentine Klepper, eine junge Regisseurin, die in Schauspiel und Oper Erfahrungen gesammelt hat, erzählt zuerst einmal die Geschichte. Geradlinig, so verquer sie auch sei. Das wirkt sehr konventionell, im ersten Akt beinah un-ehrgeizig. Dringend gehörten die Wohngemächer des Grafen Waldner ausgemalt, alle verzichtbare Einrichtung ist schon verpfändet und perdü. Die Zimmer fahren nach links und rechts, das fast leere gräfliche Puppenhaus lernen wir so recht gut kennen in seiner Armseligkeit (Bühne: Martina Segna). In der Hotelszene rollen die Dekorationselemente zur Seite und das Doppelgänger-Paar Arabella/Mandryka schwebt in der Liftkabine lange über der Szenerie. Die Verwicklungen werden vom unisex-befrackten Chor mit Argwohn beobachtet.

Aber dann erweist sich die Arbeit der Regisseurin plötzlich als genau und im besten Sinne zweckdienlich: Arabella, Zdenka, Mandryka, Matteo: Sie alle haben sich nur ein klein wenig anders verhalten, als es die Etikette der Zeit vorsieht - und schon bricht Orientierungslosigkeit aus: Jeder ist auf sich zurückgeworfen. Ist verunsichert. Steht urplötzlich allein und ohne Halt da. Niemand kommt einander mehr wirklich nahe. Das Fin-de-siècle hat dem Denken und der Seele den Grund entzogen. Die Einsamkeit ist greifbar und bedrückend. Wer unter diesen Prämissen eine Ehe anstrebt, wird sich auf eine höchst ungewisse Zukunft gefasst machen müssen. Pessimismus ist angebracht und relativiert die Musik-Süße dieses Ende-nie-Finales, in dem das Libretto in sagenhafter Umständlichkeit schwächelt.

Die zweite Aufführung bei den Osterfestspielen ist am Montag (21.4.). In der koproduzierenden Semper-Oper in Dresden ist die Aufführung ab 7. November zu sehen - www.osterfestspiele-salzburg.at; www.semperoper.de
Bilder: Osterfestspiele Salzburg / Forster

 

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