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Schlangengift und fauler Liebeszauber

PFINGSTFESTSPIELE / CLEOPATRA TRAGICA / SIR JOHN ELIOT GARDINER

29/05/12 Vielleicht sind am Pfingstmontag zur Mittagsstunde Goethe und Brahms auf einer Wolke genau senkrecht über der Felsenreitschule gesessen. Sie haben sich wohl mit Prosecco zugeprostet und tierisch amüsiert darüber, dass ein Werk wie „Rinaldo“ noch aufgeführt wird. Allem neumodernen Gender-Denken zum Trotz!

Von Reinhard Kriechbaum

Nicht nur Kleopatra, auch Armida war ja so eine Verführerin aus dem Morgenland. Rinaldo ist ihr aufgesessen. Gottlob hat der Kreuzritter wackere Mannen zur Seite, die ihm einen polierten Schild entgegenhalten. Und in diesem Spiegelbild erkennt Rinaldo ein gar jämmerliches Weichei in Frauen-Fängen. Schluss mit Armidas faulem Liebeszauber, Goethe im hehren Wortlaut: „Die Lustgeschäfte, / die Geisterkräfte / mit allem Lieben - / ach sie zerstieben!.“ Sextourismus adieu, ab in sichere deutsche Lande: „Ist euch schon der Wind nicht günstig / zu den Rudern greifet brünstig!“ Es ist doch nicht alles Literatur, was der Geheimrat an Wörtern ausgeschieden hat.

Brahms war – das zeigte in dieser Matinee Sir John Eliot Gardiner am Pult des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks – viel eher auf der Höhe der Zeit. Goethe war so drin in der Männer-Perspektive, dass in dem ganzen Text nicht mal der Name der geliebten Armida vorkommt. Brahms aber hat in den Passagen, in denen Rinaldo von den Liebeswonnen bei ihr schwärmt, einen Holzbläsersatz geschrieben, der seinesgleichen sucht. Wundervolle Dinge ließen die bayerischen Musiker da in den Zuschauerraum strömen, und Pjotr Beczala hat dazu tenoralen Wohl- und Kraftlaut vom Rundesten hören lassen. Glasklar artiklulierend auch die Männertruppe vom Chor des Bayerischen Rundfunks. So „linientreu“, konturiert und durchsichtig singt man ja heutzutage romantische Chormusik. Ob freilich ein gelegentliches Liedertafel-Wabern nicht der eigentliche „Originalklang“ wäre, bleibe dahingestellt. Die alles durchleuchtende Klarheit droht jedenfalls, dieses Repertoire inhaltlich zu desavouieren. Die Hohlheit dringt schon verdächtig durch.

Eine musikalische Kuriositätenschau an diesem Vormittag: Schumanns Ouvertüre zu Shakespeares Julius Cäsar f-Moll op. 128 ist in Salzburg wohl noch nie erklungen. Ein wirkkräftiges Stück mit machtvollen Fanfaren. Der Paukist hat ungefähr so viele Noten zu spielen wie das gesamte Rest-Orchester.

Vesselina Kasarova hat der sich per Schlangengift selbst ins Jenseits befördernden Kleopatra ihren Mezzosopran geliehen. Zurückhaltend hat sie sich Hector Berlioz’ „La mort de Cléopâtre“ genähert, und das war sehr gut so – hält der Orchestersatz dieser hyper-dramatischen Szene ja Schauerromantik in Hülle und Fülle bereit. Da tut es nur gut, wenn die Sängerin nicht zu aktiv an der Expressivitäts-Schraube dreht. Gardiner hat sowieso die Instrumentalisten an jedem einzelnen Pult auf das Intensivste klang-sprechen lassen. Wie sich das tiefe Blech durch sagenhafte Harmonie-Schwärze schraubt! „La mort de Cléopâtre“ ist eben nicht nur ein dankbares Stück für eine Sängerin. Kontrabassist müsste man sein! Diese Instrumentengruppe setzt tolle rhythmische Impulse und sie illustriert Kleopatras letzte Atemzüge so anschaulich, dass man sich das Lachen nur schwer verkneifen kann. Ein Glissando aller Bassgeigen nach unten, dann noch ein paar ersterbende Herzschläge in den Violinen – und schon ist’s geschehen um die ägyptische Königin der Herzen von Cäsar und des Mark Anton.

Bilder: SF / Hans Jörg Michel

 

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